Zwischenstand im Ukraine-Krieg (2-8-22)


Vorbemerkung: Ich bin im Moment vielfältigsten familiären und gesundheitlichen Anforderungen ausgesetzt, deshalb kommen im Moment weniger Artikel und sie sind nicht so grundsätzlicher Art, sondern kleben eher am Aktuellen. Dafür vorab schon mal die Bitte um Entschuldigung und Berücksichtigung. – Allerdings wollte ich auch nicht NICHTS hier schreiben, denn unter den Lesern sind vielleicht viele, die nicht so lange und z.T. intensiv über diese militär-politischen Zusammenhänge gelesen und nachgedacht haben. Für diese könnten auch die eher momentanen Bemerkungen hier eine gewisse Orientierung im Meer von ungenauen Nachrichten sein.

Nun zur Sache:

Wie oft auch in früheren Kriegen, gibt es Phasen,  in denen man nicht genau unterscheiden  kann, welcher der beiden Gegner die Initiative besitzt,  und in welche Richtung sich die Sache entwickeln wird.

Auf der politischen Seite:

bei Deutschland Nabelschau –  es wird endlos über die Konsequenzen eines Gasstopps berichtet, während man doch all dies hätte bedenken sollen, bevor man die Ukraine zur Unnachgiebigkeit ermutigte. – In den letzten 2 Tagen viel Berichte über die Getreideschiffe.

in mindestens zwei NATO-Staaten herrschen Regierungskrisen: Italien und GB

extreme Spaltung der Gesellschaft und der politischen Lager mit Vorwahlkampf-Atmosphäre. All dies führt dazu, dass der jetzige Präsident außenpolitisch das an Ansehen erringen muss,  was er innenpolitisch nicht erreicht. Eventuell muss man auch hier die seltsame Reise von Frau Pelosi nach Taiwan einordnen.

Nun zu dem politischen Ereignis, welches mich sofort tief beunruhigt hat:

Nach einer Phase, in der hauptsächlich unter ungeheurem Einsatz im Donbass Eroberungen gemacht worden waren und in der politische Äußerungen zum Ziel des Krieges nicht wahrnehmbar waren,  gab es am 25.7. den Paukenschlag Lawrows: man wolle in der Ukraine eine komplett andere Regierung, die jetzige sei ‚volksfern und geschichtsfern‘. Also quasi eine Neuauflage dessen, was Putin zu Beginn des Krieges genannt hatte:  Demilitarisierung, Denazifizierung – was sich ja dehnbar auf die ganze politische Führung der Ukraine ausdehnen lässt.

Das wären uferlose Kriegsziele. Und damit eine ebensolche Verlängerung des Krieges. Denn:

Da die Kriegs-Ziele die Kampfhandlungen stark beeinflussen, wird hier ein Weg beschritten, auf dem die ukrainische Armee besiegt werden und das Land besetzt werden müsste – mit allen Gefahren eines jahrelangen Guerillakrieges und daher ungeheuren Besatzungskosten. –  Möglich wäre auch die Interpretation von Lawrow als „bad cop“, der eine der möglichen Möglichkeiten lauthals verkündet, mit dem eigentlichen Sinn: Ihr fügt uns zwar großen Schaden zu,  aber wir können euch noch mehr ärgern.

Selbst wenn dies zuträfe,  wäre es eher eine Trotzreaktion als das Werk eines der dienstältesten Diplomaten. Seine Auswirkung wäre eine Verhärtung der politischen und diplomatischen Verhältnisse.

Auf der militärischen Seite:

Bis auf die Ankündigung des ukrainischen Präsidenten, man wolle im Süden eine Offensive starten, sahen wir in den letzten Wochen nur ein langsames, aber stetiges Voranschreiten der russischen Truppen im Donbass. Meldungen sprachen von zunehmender „Abnutzung“ (mil: attrition) der Einheiten materiell wie auch vom Personal. Abnutzungskrieg bedeutet: Wenig schnelle Fortschritte,  keine Durchbrüche,  eher ein Sich-Durch-Boxen durch den Gegner mit ungeheurem Einsatz von Mensch und Material auf beiden Seiten. Zur geschichtlichen Illustration des Gesagten: Der 2. Weltkrieg war eher ein Krieg der (schnellen) Durchbrüche, während der 1. Weltkrieg zu mindestens an der West- und Italienfront ein reiner Abnutzungskrieg war. Wem diese Begriffe nicht gefallen, der ersetze sie durch Niederwerfungs-Krieg und Ermattungs-Krieg

Eine bisher sehr kundige und unparteiische Quelle wie die Videos des Österreichischen Bundesheeres sprach vor gut einer Woche sogar wegen der Abnutzung der ukrainischen Verbände von der Gefahr eines Durchbruches der russischen Armee Richtung Kramatorsk, also eines Durchbruches mitten durch die ukrainische Ost-Front. Je nachdem, wie tief dieser russische Durchbruch geworden wäre, würde er den bisherigen  Charakter des Krieges bestätigen oder ändern: Falls die Ukraine den Durchbruch vor dem Dnjepr stoppen und eine solide neue Abwehrfront aufbauen könnte, wäre der Durchbruch Teil des Abnutzungskrieges;  falls ein Durchbruch über den Dnjepr hinaus mit großen Wirkungen auf das ukrainische Hinterland und seine Reserven gelänge,  so würde sich dadurch der Krieg in einen Niederwerfungs-Krieg verändern. Zu diesem würden dann auch die momentanen Kriegsziele Moskaus passen (s.o.)

Gegenläufig wurde dann auf Standard Medien(Öffentlich-Rechtliche, Focus, NZZ) auch von großen  Erfolgen der vom Westen gelieferten Waffen gesprochen. Falls dies stimmen sollte, würde das die Abnutzungs-These unterstreichen, denn dann könnte Russland nicht „durchbrechen“.

Ende Juli kamen dann Berichte, die Ukraine habe einen Ort im Süden, Andrijiwka, zurückerobert  und – mit gelieferten Waffen – die Brücke über den Dnjepr bei Cherson schwer beschädigt.

Beide Nachrichten würden  also eher für Vorteile der Ukraine sprechen. Hierbei ist allerdings nicht klar, welche Rolle diese lokalen Offensiven im Süden im Rahmen der gesamten Kampfhandlungen spielen: ist dies nur die Bereinigung des – extrem gefährlichen – russischen Brückenkopfes über den Dnjepr? Also eine lokal und vom Ziel her begrenzte Operation, oder ist es der Auftakt zu einer Rückeroberung von Teilen des besetzten Südens???

Auf Seiten der Medien

Über die russischen Medien kann ich nichts sagen, da ja sogar der Internet-Auftritt von Russia Today für uns hier  im Westen, dieser Oase  der Freiheit, gesperrt ist (Was muss unsere Obrigkeit eine Angst vor der teuflischen russischen Propaganda und der Unmündigkeit ihrer eigenen Bürger haben ….).

Bei unseren Medien schwanke ich immer noch zwischen Dummheit und Propaganda.  Man schaue sich einfach die „heute“-Sendung vom Abend des 27.7. an:

In der Berichterstattung von der „Front“

Erst mal Soldat Wasily,  der etwas im Sinne von dem „Gewehr als Braut des Soldaten“ und vom Spaten in unsere Wohnzimmer transportieren darf (Wo doch viel  interessanter wäre,  ob Wasily regulärer Soldat oder Söldner oder Freiwilliger ist und wie lange er schon dabei ist)

Dann noch was über die Sani-truppe der Ukraine

Und schließlich:

Frauen beim Kartoffelernten!!!! So weit haben die  bösen Russen also die Ukraine herabgedrückt,  dass arme Frauen mit den Händen Kartoffeln ernten müssen,  da sie sonst hungern müssten im Winter (so erzählten sie es wohl dem Reporter Hassanzadeh, der für ZDF immer die Berichte macht).

Nun ist die Qualität der Aufnahme der Fläche des Kartoffelfeldes nicht so,  dass man definitiv ausschließen könnte, dass schon richtige Kartoffel-Erntemaschinen vor den Frauen am Werk waren. Ich meine aber, dass zwei Details für diese meine Interpretation des Geschehens sprechen:

  • Nah bei den Frauen, aber vor ihnen,  sah man Kartoffeln offen oben auf der Erde liegen. Dies tun Kartoffeln aber kaum, wenn nicht vorher eine Kartoffel-Erntemaschine sie oben auf die Erde befördert hatte.
  • Die Frauen hatten außer ihren Händen kein Werkzeug  dabei,  etwa eine Grabegabel. Kein Landbewohner aber – auch nicht im Krieg – würde versuchen Kartoffeln ohne ein Instrument „auszumachen“, ohne ein Instrument, welches hilft, die Kartoffeln von unterhalb der Erdoberfläche auf dieselbe zu befördern.

Summa summarum: Die Frauen taten das, was eine überwiegend agrarische Bevölkerung NACH der maschinellen Ernte tut –  sie sammeln die liegengebliebenen Kartoffeln auf. Dies zeigt also, dass die Tätigkeit der Frauen nichts damit zu tun hat, dass der böse russische Überfall sie jedweder Hilfe beraubt hätte und sie mit bloßen Händen Kartoffeln gegen den Hunger aus der Erde wühlen müssten.

Wieder stellt sich hier die Frage:

  • Ist das bewusste Erregung von Mitleid und Sympathie mit der Ukraine, auch mit Mitteln der „fake news“?
  • Oder ist es Dummheit und fehlender Spürsinn aus mangelnder Sachkenntnis von Reporter und Redaktion???

Ich könnte mir in diesem  Fall fast vorstellen,  dass diese Stadtmenschen die von mir gerade geschilderten Zusammenhänge nicht wussten.

Noch kurz ein Nachsatz zur Medien-Berichterstattung:

Gestern sah ich einen Beitrag auf youtube aus der „heute“-Redaktion über den  Reporter Wernicke, der als „embedded journalist“ mit der russischen Armee im Donbass herumgeführt wurde. Sehr wertvoll waren hier die Angaben über die Arbeitsbedingungen von „embedded journalists“.

Enttäuscht hat mich dann aber die inhaltliche Ergebnislosigkeit des an sich so wertvollen Beitrages. Eine der Hauptfragen war, wie denn die Bevölkerung des Donbass sich zum Krieg verhält. Dazu gab es nur oberflächliche Ergebnisse. Ich hatte erwartet,  dass der Reporter oder die Redaktion uns wenigstens mit den  Wahlergebnissen vor 2014 aus dieser Region bekannt gemacht hätte. Das wäre ein „Längsschnitt“ gewesen mit fundierten Hinweisen zur Haltung der dortigen Bevölkerung.

Sodann wurde spekuliert, wieso die russischen Truppen für die Bevölkerung im Donbass die eroberten ukrainischen Waffen aus westlicher Lieferung ausstellen. Auf den naheliegendsten Grund aber kam man in der Reportage nicht, nämlich, aus russischer Argumentation: ‚Das Regime in Kiew wäre ohne westliche HIlfe gar nicht lebensfähig‘. Dies entspricht genau einem Argument der russischen Führung, neudeutsch: einem Narrativ.

Nein,  es wurden nur die Ergebnisse von ganz kurzen  Interviews unter den Bedingungen des „embedded journalism“ zusammengefasst.

Wie wenig methodisch geschult sind doch diese Medienleute!!!!