Private Profite durch Waffen (2-8-23)


Historisch angestellte Überlegungen und ein historisches Beispiel

Beim erneuten Lesen einiger Klassiker zu „Krieg und Frieden“ bin ich wieder auf

Wilhelm Muehlon

gestoßen. Hier äußert sich ein hochrangiger Experte zum Thema!

Muehlon, der 1878 in Karlstadt/Main geboren wurde, studierte Rechts- und Staatswissenschaften und reiste schon im Referendariat oft ins Ausland. Von Sommer 1907 bis Frühjahr 1908 arbeitete er im Auswärtigen Amt des kaiserlichen Deutschland, und wechselte dann zur Essener Stahlfirma Krupp. Schon nach einem Jahr erhielt er dort Prokura, 1911 wurde er stellvertretender Direktor und im Juli 1913 machte der Inhaber, v. Bohlen und Halbach, ihn mit nur 35 Jahren zum Mitglied des Kruppschen Direktoriums: er war kaufmännischer Chef der Abteilung für Kriegsmaterial.

Im ersten Teil des im Donat-Verlag herausgegebenen Buches (s. Bild) schildert Muehlon, wie er in der Abteilung für Kriegsmaterial von seinem Vorgänger ein System der Bestechung von Führungspersonen vieler Länder vorfand. Bestechung mit dem Ziel an Rüstungsaufträge zu kommen bzw. die Konkurrenzfirmen auszustechen. Er schreibt, wie das System sich schon selbst ad absurdum geführt hatte, weil die Machenschaften sich im Ausland herumgesprochen hatten und weil z.T. minderwertige Ware verkauft wurde. Muehlon änderte diesen Kurs radikal.

Eine der Schlussfolgerungen aus Muehlons späteren Erinnerungen lautete:

„(…)Eine Zeitlang geht das ganz gut, einflussreiche Persönlichkeiten an sich zu fesseln, aber Personen und Einflüsse wechseln, man muss neue gewinnen, bevor man die alten schon richtig los ist, es spricht sich ein Gerücht herum, der Neid der Nichtbedachten wächst an, manchmal auch der Hass der noch Ehrlichen, und auf einmal hat man in einem Land eine Situation mit vielen Verpflichtungen und Gegnern.

Meine Ansicht war im Wesentlichen, dass der Kruppdirektor sich überhaupt nicht auf eine Bestechung einlassen solle. Es nütze beispielweise gar nichts, wenn er eine Zeitung kaufe, er habe dann nur die heftigere Gegnerschaft einer anderen, denn diese Leute lebten von ihrer Feindschaft. Kümmere er sich überhaupt nicht um die Gunst einer Zeitung, so habe er doch die einen als Gegner, die anderen als Freunde, also im Ganzen etwas das gleiche Ergebnis, aber ohne Aufwand und ohne eine Erpressung, Enthüllung oder sonstige Unannehmlichkeit befürchten zu müssen.

Ähnlich werde er (sic!) sich mit anderen Bestechungen verhalten. In so ziemlich allen Ländern könne man davon ausgehen, dass es auch Gegner der Bestechung gebe. Halte man sich nur an diese besseren Elemente, so stärke man sie beträchtlich, und gleichzeitig erwerbe man selbst eine feste Stellung, die auf die Dauer der Firma zu Gute kommt, auch wenn sie im Einzelfall nicht ganz auf der Höhe sei. Nur müsse man unbedingt und ohne Ausnahme an dem Grundsatz, nicht zu bestechen, festhalten.(…)“aus: Muehlon, W: Ein Fremder im eigenen Land. Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen eines Krupp-Direktors 1908-1014, Bremen 1989, S. 71f. (Modernisierte Rechtschreibung. Unterstreichungen von mir.)

Auf eigenen Wunsch schied er im März 1915 aus dem Direktorium Krupps aus.

Schon aus diesen wenigen Zeilen dürfte sich ein Grundzug des weiteren Denkens Wilhelm Muehlons leicht erkennen lassen: Moralisches Verhalten auch in der Politik mag im Einzelfall zu irgendeinem Verlust führen, zahlt sich aber aus durch das langfristig gewonnene Vertrauen der Gegenseite, ja, vielleicht sogar die Sympathie der Gegenseite. In diesem Sinne kommentierte er in seinen „Tagebuchaufzeichnungen“, die im genannten Buch Anfang August 1914 einsetzen, die Monate Juni bis Mitte November 1914. Er urteilt von diesem Standpunkt aus Fehlentwicklungen im kaiserlichen Deutschland: den „Blankoscheck“ an Österreich-Ungarn, den Bruch der belgischen Neutralität, die dann dort verübten Gräuel, die primitive Propaganda, die Versuche Neutrale zu bestechen, den Einfluss des Krieges auf die Wahrnehmung von Ereignissen und -aktuell- „fake news“, weiter die wahnwitzigen Eroberungsphantasien von Politik, Industrie und Presse.

Im Zusammenhang mit diesen Fehlentwicklungen kommt er auch oft auf Entwicklungen im Bereich der Rüstungsindustrien der damals relevanten Länder zu sprechen – als Experte sozusagen. Hier resümiert er in seinem Tagebuch zum Weltkrieg an einer Stelle am 1.9.1914 über die private Rüstungsindustrie:

„Sobald der Krieg (Muehlon meint natürlich den gerade begonnenen Weltkrieg, G.J.) zu Ende ist, wird hoffentlich die Volksstimmung oder die Regierungsweisheit sich gegen die privaten Kriegsmaterialfabriken wenden. Staatliche Arsenale zur Herstellung von Kriegsmaterial sind nicht das Schlimmste, sie beschränken sich auf das eigene Land. Aber die Unternehmer, die mit allen Mitteln das Ausland zum Kauf von Waffen verleiten, tragen einen großen Teil der Schuld daran, dass die Welt in Waffen starrt und jedes Land nur mit dem Gewicht der Waffen Geltung zu gewinnen glaubt.

Welcher Fortschritt läge schon darin, wenn der Sieger die Waffenindustrie in allen Ländern aufheben und die Herstellung von Kriegsmaterial, Waffen, Munition, Sprengstoffen ec. (sic!) auf staatliche Arsenale beschränken könnte. Wäre den privaten Fabriken das Handwerk gelegt oder ihnen wenigstens der direkte und indirekte Verkauf an ausländische Kundschaft verboten, sodass der scham- und gewissenlose Konkurrenzkampf um die Aufträge des Auslandes wegfiele, so wäre zwar noch nicht dem Wettrüsten der Staaten ein Ende gemacht, aber eine Vereinbarung zwischen den Staaten nicht unwesentlich erleichtert.“

aus: Muehlon, W: Ein Fremder im eigenen Land. Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen eines Krupp-Direktors 1908-1014, Bremen 1989, S. 179f. (Modernisierte Rechtschreibung.)

Welche Lehren können im Sinne einer Friedens-Führung aus diesen Bemerkungen heute, 100 Jahre später, abgeleitet werden?

Zuerst zu den Grenzen von Muehlons Gedanken:

  • Wir hatten ja schon in drei Artikeln den Militärisch-Industriellen-Komplex umrissen. Ein Ergebnis dort war, dass die „Kriegsmaterialfabriken“ und ihre Verbündeten auch verderblichen Einfluss auf die Innenpolitik eines Landes ausüben. Der ehemalige US-Präsident Eisenhower hatte das als doppleter Experte geschildert, als höchster Militär des Westens bis 1945 und dann als höchster Politiker! – Diese Einflüsse auf die Politik des eigenen Staates nennt Muehlon hier nicht.
  • Muehlon steht hier vornehmlich auf dem Standpunkt der Verhinderung von Wettrüsten. Er untersucht hier nicht die ökonomischen „Sachzwänge“ eines Waffenindustriellen. Dazu weiter unten.

Jetzt aber zum fruchtbaren Kern seiner Gedanken:

  • Private „Kriegsmaterialfabriken“ arbeiten „mit allen Mitteln“ an der Aquisition von Aufträgen, sei es zum Zwecke der Auslastung oder des Profits der Aktionäre. In einem der früheren Artikel war schon von den Bestechungen im Zusammenhang mit der Anschaffung der „Starfighter“ die Rede.
  • Natürlich „starrt die Welt“ durch dieses Treiben in Waffen. – Wer keine eigene Waffenindustrie hat, könnte höchstens Handfeuerwaffen handwerklich produzieren, wie die afghanisch-pakistanischen Handwerker das Kalaschnikow-Gewehr.
  • Durch ihre Einflussnahmen in anderen Ländern steuern diese Unternehmer das Denken dort in Richtung der Geltung „nur mit dem Gewicht der Waffen“. Andere, zivile Investitionen, tauchen so auf dem gedanklichen Horizont nicht auf. Und selbst wenn diese auftauchen, so lenken die dort herrschenden Eliten die ihrem Volk abgepressten Reichtümer in den Kauf ausländischer Waffen – sei es wegen Bedrohungsängsten, sei es wegen des Prestiges. In beiden Bereichen wird diesen Eliten mit den Argumenten der Waffenhändler nachgeholfen. – So verhindert diese Ressourcenverschwendung zivile Projekte, z.B. Klima- oder Sozialprojekte, und kann so ihrerseits wieder zwischenstaatliche Konflikte erzeugen, für die die Waffenhändler dann gern die regierenden Eliten „beraten“.
  • Heute macht zunehmend der „indirekte“ Verkauf Probleme: über Drittstaaten, über Teil-Lieferungen, über Lizenzen (auch an Drittstaaten vergebene Lizenzen). – Welch abartige Blüten der „scham- und gewissenlose Konkurrenzkampf“ treibt, sei an einem Beispiel illustriert: deutsche ‚Kriegsmaterialfabikanten‘ lieferten dem NATO-„Verbündeten“ Türkei so viel Wissen (Know-How) und Lizenzen, dass dieses Land jetzt in so aufgebauten Fabriken eigene Panzer herstellen (und exportieren) kann.

Und hier schließt sich wieder der Kreis zu 1914-1918: damals präsentierte Krupp nach dem Krieg Vickers die Rechnung über die mit Krupp-Patent auf deutsche Soldaten verschossenen englischen Granaten – heute unterstützt die „von uns“ hochgerüstete Türkei Islamisten in Syrien; sie bekämpft Kurden, auch solche, die in Kobane gegen den IS zurückschlugen; sie droht Griechenland

Deshalb, mit Muehlon, als Fazit für die Friedens-Führung:

Weg mit diesen privatwirtschaftlichen „Kriegsmaterialfabriken“. Diese geraten ja naturgemäß immer in die ökonomischen „Sachzwänge“, die Muehlon oben nicht extra erwähnte: wenn die inländischen Bestellungen geliefert sind und noch keine inländischen Nachfolgeaufträge vorliegen, liegen die Investitionen des Waffenindustriellen brach. Arbeitslosigkeit droht gar!!!! (Das ist von mir hier ironisch gemeint, für diesen Sektor. Tatsächlich aber wäre diese Arbeitslosigkeit ein Problem für die Arbeitnehmer dort und deren Interessenvertretungen. Helfen könnten die Konzepte zur Rüstungskonversion aus den 1980ger Jahren.)

Nein, „staatliche Arsenale“ müssten nur für den inländischen/bündnisgerichteten Bedarf produzieren. Wenn dort kein Bedarf herrscht (und dies ist schärfstens zu kontrollieren), so muss die Gemeinschaft der Staatsbürger diese Arsenale erhalten. Entweder ist es diese Ausgabe wert, weil die Erzeugnisse dieser Arsenale uns „schützen“, oder die „Volksstimmung“ merkt, dass solch ein Schutz nicht nötig ist – und streicht den Bedarf dieser Arsenale zusammen.

Diese Kosten sind immer noch geringer als die eines Wettrüstens mit nachfolgendem Krieg.

Aktualisierung:

Wer sich für aktuelle Beispiel von Waffenindustrie interessiert, dem sei die Seite „abgeordnetenwatch.de“ zum Lobbyismus empfohlen und das Heft 185(3-2023) von „Ohne Rüstung leben“ zu Rheinmetall und Hensoldt.