Beispiele für Gegen-Experten aus der Zeit vor 1933


Damit der Sachverhalt aus dem

Einführungsartikel „Gegen-Experten und Mode-Meinungen“

deutlicher wird,  seien einige Beispiele genannt. Achtung: diese Beispiele bedeuten nicht, dass diese Gegen-Experten in jedem Falle Recht gehabt hätten; auch gibt es aus allen Zeiten und allen Völkern wohl weitere Beispiele. Aber die Lesbarkeit hier und das eigene Wissen legen nahe,  einige wenige Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum zu präsentieren:

Gerhard (von) Scharnhorst:  (zu diesem nur wenig, da er wohl allseits bekannt ist)

Sohn eines Mannes des 3. Standes, also nicht-adlig von Geburt. Er hatte als einer der Wenigen die Lehren aus den ersten Kriegen mit dem revolutionären Frankreich gezogen – wurde aber in einer auch sozial abgeschlossenen Offiziers-Kaste nicht gehört. Resultat: die vernichtende Niederlage von 1806.

Unter der Leitung von Scharnhorst bauten dann Offiziere hauptsächlich aus mittleren Rängen (Major bis Oberst) die neue preußische Armee als Teil eines durch Reformen umgestalteten preußischen Staates auf. Grundrichtung aller dieser Reformen:

staatsbürgerliche Rechte für die früheren „Untertanen“. Im Militär: Nur wer staatsbürgerliche Rechte hat, hat ein Interesse an der Verteidigung des „Vaterlandes“.

Nach Abschluss der ersten Phase der Reformen blieben von den 142 Generalen der Armee von 1806 nur noch 22 im Dienst (so Wikipedia)– mit solcher Radikalität gingen die Reformer vor.

P.S. Nach dem Sieg über Napoleon 1815 wurden fast alle Reformer vom preußischen König auf völlig einflusslose Stellungen abgeschoben. Scharnhorst selbst war 1813 an einer Verwundung gestorben.

August Willich:

Hierzulande kaum bekannt!!! Preußischer Offizier; nahm 1846 (also zwei Jahre vor der Revolution von 1848) seinen Abschied, da er als überzeugter Anhänger einer Republik nicht dem Monarchen dienen konnte; 1848 Kommandant einer Einheit in der badisch-pfälzischen (revolutionären) Armee; Exil in den USA. Dort Kommandant des 32. Indiana Regimentes im Bürgerkrieg. Willich fällt – neben seinen kommunistischen Ansichten – durch Innovationen auf: statt des anfangs noch üblichen Fußmarsches fordert er den Bahntransport; er besorgt für sein Regiment eigene fahrbare Bäckereien. Sprache im Regiment: Deutsch.

Berühmt seine Haltung im Kampf: als das Regiment am zweiten  Tag der Schlacht von Shiloh zu wanken droht, tritt er während des Kampfes vor die Reihen und befiehlt – Exerzierübungen mit dem Gewehr, das sogenannte „Gewehrkloppen“. Durch die Beschäftigung mit dem total Vertrautem gewinnt die Truppe wieder Halt. Willich lässt die Regimentskapelle die „Marseillaise“ intonieren, die 32ger greifen mit dem Bayonett an. So etwas erreicht nur ein Kommandeur, dem seine Leute komplett vertrauen. Exkurs zum Bayonettangriff: in dem bekannten Spielfilm „Gettysburg“ wird ein solcher gezeigt und als Zeichen besonderer Tapferkeit bewertet.

Willich befiehlt danach noch erfolgreich in mehreren Schlachten, wird schwer verwundet und zum Generalmajor befördert. 1870 bietet er dem preußischen König seine Dienste für den deutsch-französischen Krieg an,  was dieser natürlich ablehnt.

Willich erlangt dann noch ein „college degree in philosophy“ an der Berliner (!!!) preußischen Universität im Alter von 60 Jahren. (Ich habe seinen akademischen Abschluss aus dem us-amerikanischen Wikipedia-Artikel zitiert.)

Gibt es eigentlich in der Bundeswehr eine ‚August-Willich-Kaserne‘???

Wilhelm Rüstow

Welch eine Karriere!!! Preußischer Offizier der Pioniertruppe, aus dem Dienst entfernt wegen seiner demokratischen Einstellung und seiner Schriften über eine Volkswehr, also das Gegenteil der dem König gehörenden damaligen Armee; Verfasser wissenschaftlicher Werke zum Militärwesen; Generalstabschef Garibaldis, des italienischen Anführers im nationalen Einigungskrieg – Garibaldi ist übrigens das politische Gegenteil des deutschen Anführers v.Bismarck;  Rüstow befehligte selbst im italienischen Einigungskrieg in zwei Schlachten; Freund Lassalles; Oberst der schweizerischen Armee; kurze Zeit Inhaber des „schweizerischen Lehrstuhls für Kriegswissenschaften“ (Wikipedia-Artikel). – Der Mann verband Theorie und Praxis! So heißt es im  Wikipedia-Artikel über ihn: „Wilhelm Rüstow gehört zu den wenigen deutschen Militärschriftstellern, die ihre eigenen praktischen Erfahrungen aus hohen Führungsfunktionen in ihre Schriften einbringen konnten.“ (Na ja, der Verfasser meinte wohl, er sei einer von den verschwindend wenigen demokratischen oder liberalen Militärs gewesen, die Theorie und Praxis verbinden konnten – Memoiren schreibende, stockkonservative Generalstabsoffiziere gab es ja zuhauf.) Rüstow hatte übrigens zwei ebenfalls interessante Brüder.

Noch was: Als (kurzzeitiger) Inhaber des Lehrstuhls für „Kriegswissenschaften“ ist Rüstow so etwas wie ein geistiger Vorfahr von Hans Delbrück, auch wenn beide politisch-ideologisch unterschiedlich eingestellt waren.

Überflüssig zu fragen: Gibt es eigentlich in der Bundeswehr eine „Wilhelm-Rüstow-Kaserne“?

Hans Delbrück:

Universitätsprofessor für Geschichte. Begründet die zivilen Lehrstühle für Kriegs- und Militärgeschichte, das Thema wurde sonst nur an den Militärakademien gelehrt. Delbrück legt sich mit seiner Kenntnis der Kriegsgeschichte und gestützt auf Clausewitz mit dem preußischen Generalstab an. Der Generalstab lehrte nur den (schnellen) Vernichtungskrieg, Delbrück bewies dagegen die Existenz des Abnutzungskrieges, wies diesen schon für Friedrich II. von Preußen (den „Großen“) nach . Praktisches Resultat der falschen Ausrichtung, der Mode-Meinung im Generalstab: Deutschland stolpert in den ersten Weltkrieg gegen die damaligen Welt-Mächte Großbritannien und Frankreich mit dem Schlieffen-Plan, der auf einem schnellen Vernichtungskrieg basiert – während der tatsächliche Weltkrieg ein Abnutzungskrieg wurde.

Im Weltkrieg opponiert Delbrück gegen die Propaganda der „Alldeutschen“. Nach dem Weltkrieg argumentiert er gegen den von den Militärs propagierten „Dolchstoß“ und Ludendorffs „Totalen Krieg“.

Weitere Gegenexperten

Bisher habe ich einige Persönlichkeiten genannt, über die ich auf  Basis eigener Lektüre genauer Auskunft geben kann.

Viele weiter Beispiele für Gegen-Experten enthält das höchst verdienstvolle und instruktive Buch:

Pazifistische Offiziere in Deutschland 1871-1933, hrsg. von W. Wette unter Mitwirkung von H. Donat. Bremen (Donat-Verlag) 1999.

Hier werden 17  Offiziere des Kaiserreiches geschildert, die eine oft radikale Abkehr von Militarismus und Bellizismus vollzogen. Eine Kenntnis dieser Persönlichkeiten erweitert den Blick auf echte historische Alternativen: Ich hatte ja schon in einem

Artikel über Bertha v. Suttner

ihre Schilderung der totalen Übermacht derjenigen Medien erwähnt, die für Krieg und Militär trommeln. Hier in diesem Buch ist der Beweis, wie die Gedanken dieser 17 Soldaten durch eine Art von Totschweigen fast in Vergessenheit geraten wären.

Umso verdienstvoller, dass die Herausgeber dem Band eine Bibliographie zum Forschungsprojekt „pazifistische Offiziere“ zufügten.

Ich kann nicht anders, ich muss wenigstens auf Georg von Beerfelde hinweisen, obwohl die anderen 16 Militärs des Bandes genauso interessant ist: Beerfelde erhält durch sein adliges Umfeld Kenntnis einer Denkschrift (Lichnowsky-Denkschrift), die die Schuld der deutschen Führung am 1. Weltkrieg nahelegte. Hier hätte also in der damaligen historischen Situation der „Dolchstoßlegende“ vorgebaut werden können, dieser Legende,  die eine der großen gedanklichen Voraussetzungen für den Aufstieg der Nazis waren.

Und ich habe gerade im (kurzen) Wikipedia-Artikel zu Beerfelde folgende Neuigkeit gefunden:

Es gibt eine neue Monographie zu ihm von Lothar Wieland: In drei deutschen Staaten verfolgt. Hans Georg von Beerfelde (1877–1960) und die Revolution der Wahrheit, Bremen: Donat-Verlag 2019


Autor dieses Artikels ist:

G. Jankowiak

Sodinger Str. 60

44623 Herne