In Diskussionen geht es oft heiß her bei der Frage, ob man jemandem gegen einen Aggressor als Drittland Waffen liefern soll. Oft endet die Diskussion dann auch in Ratlosigkeit oder in gegenseitiger Aggressivität.
Hier soll versucht werden mit möglichst klaren Maßstäben solchen Diskussionen Hilfen an die Hand zu geben.
Die Kriterien – enge und weite
Wir werden herausfinden, dass es bei Waffen auf Technisches wie ihre Reichweite, oder ihre durch die Bauart und die Munition bestimmte Aufgabe, ankommt; weiter auf die Anzahl der Waffen an, die geliefert werden, denn hier kann Quantität in Qualität umschlagen; und da wir gerade bei diesen Qu-Wörtern sind, kommt es auch auf ihre jeweilige Ausführung an, sprich ob es sich um moderne, ältere oder veraltete Waffen handelt.
Es kommt auch auf die Situation in einem Krieg an, ob eine Waffengattung eher offensiven oder eher defensiven Charakter hat: wer hat wessen Grenze überschritten; wer ist qualitativ und/oder quantitativ überlegen; überhaupt dürfte sich als eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale herausstellen, dass Waffen in bestimmter Menge und Qualität eher dann als defensiv zu bezeichnen wären, wenn sie dem jeweils Unterlegenen geliefert werden, denn dieser ist im Normalfall der Angegriffene.
Weiter unten wird aber darauf hingewiesen, was passieren kann, wenn der anfangs Unterlegene oder Überfallene so viele „Defensivwaffen“ geliefert bekommt, dass er zur Offensive übergehen kann. Der Umschlag von Quantität in Qualität!
Der Orientierungsrahmen
Wir nähern uns der Sache, indem wir die jeweils harmlosesten und die gefährlichsten Waffen betrachten, um dann für die übrigen Waffen einen Rahmen zu haben.
Standpunkt der Erörterung: die Lieferung aus einem Drittstaat an einen Staat, der durch Grenzüberschreitung durch seinen Gegner angegriffen wurde und auf dessen Territorium jetzt Kampfhandlungen stattfinden. Diese beiden Gesichtspunkte zählen zu denen, auf die ich oben unter „Situation“ hingewiesen habe.
Die harmloseste Waffe (unter den heutigen Militärwaffen)
Die mehrschüssige Pistole hat eine geringe Reichweite, und ihre Tödlichkeit sinkt mit steigender Entfernung. In Kampfhandlungen ist die Pistole also eine Nah-Kampf-Waffe, deren Tödlichkeit unter heutigen Bedingungen nicht ausreicht, um kriegsentscheidend zu sein.
Natürlich kann sie von Angreifern wie Verteidigern eingesetzt werden. Ihre Lieferung an den Verteidiger in der oben gegebenen Definition ist auf die taktisch begrenzte Verteidigung beschränkt: In der Hand dessen, der auf seinem eigenen Territorium gegen einen Angreifer im Nahkampf kämpft, ist sie daher eine reine Defensivwaffe. Sie kann den unmittelbaren Angreifer „ausschalten“, nicht aber beim Angreifer als Masse eine solche Tödlichkeit entfalten, dass dessen Angriff zur Flucht wird; auch kann sie nicht das gegnerische Territorium erreichen.
Sie allein könnte also unseren Angegriffenen nicht in die Lage versetzen, selbst eine Offensive starten zu können.
Die gefährlichste Waffe
Dies dürfte heutzutage die Boden-Boden-Rakete sein, die konventionell oder atomar bestückt sein kann. Allein schon bei der Vorstellung einer solchen Waffe wird ganz schnell klar, dass sie eher nicht defensiv sein kann, wenn man von besonderen Fällen absieht. Sie hat – je nach Bauart und der Ausdehnung des Kriegsraumes – eine Reichweite, die die meisten Punkte im Lande des Gegners erreichen kann; sie ist wegen ihrer Schnelligkeit und ihrer Sprengkraft von besonderer Tödlichkeit. Sie ist eine „Sieg-Waffe“.
Nun mag einer fragen, ob diese denn nicht vom Verteidiger gegen den Angreifer eingesetzt werden könnte, um dessen Angriff zum Stehen oder sogar zum Zusammenbrechen zu bringen, also wäre doch dann der Angreifer abgewehrt worden, und Abwehr ist doch defensiv.
Die Rakete zielt aber „bauartbedingt“ auf das Territorium jenseits der Grenze, ihre Tödlichkeit kann – je nach Quantität und Qualität der Raketen – ja sogar die sogenannte „Enthauptung“ des Gegners herbeiführen, also die Vernichtung seiner Führungszentralen. Unsere anscheinende Defensivwaffe entpuppt sich also als ein kriegsentscheidendes Instrument. Ihr Einsatz durch den Angegriffenen könnte dazu führen, dass dieser nicht allein die gegnerischen Bodentruppen stoppt (wozu im Verbund der Waffen dann eher echte Anti-Panzer-Waffen benutzt würden), sondern dass dieser dann mit diesen Raketen Ziele auf dem Territorium des Angreifers belegt und den Krieg gewinnt. Als Sieger könnte er dann möglicherweise – dem früheren Angreifer nun selbst fürchterliche Bedingungen auferlegen. Also eine Sieg-Waffe.
Eine weitere Waffe als Beispiel

Nach dieser ersten Einordnung, die durch die Natur der jeweiligen Waffe wohl leicht zu verstehen war, kann man darangehen, weitere Waffensysteme nach den ganz oben genannten technischen und Situations-Kriterien einzuordnen.
Gezeigt werden soll dies noch kurz – der Lesbarkeit halber – am Beispiel von Anti-Panzer-Waffen tragbaren Charakters, allgemein hier oft als „Panzerfaust“ bezeichnet. Einzelne Soldaten setzen diese aus der Deckung, oft im Städte- und Häuserkampf, und aus geringer Entfernung gegen Panzer ein. Die Waffe ist also nicht dazu geeignet große Entfernungen zu überbrücken; sie ist einschüssig, kann also nach dem Abfeuern im Allgemeinen nicht wieder bestückt werden. Mehrschüssige sind schwerer, verlangen mehr Bedienungspersonal. Und auch bei diesen wird der Soldat, der eine solche Panzerfaust abgefeuert hat, bemüht sein einen superschnellen Stellungswechsel vorzunehmen und dabei die Waffe (und weitere Sprengköpfe) nicht unbedingt mitschleppen wollen/können. Sie wird wegen all dieser Merkmale normalerweise nicht im Vormarsch eingesetzt.
So lange also, als diese Panzerfäuste nicht in einer solchen Anzahl verfügbar wären, in der sie die gesamte Panzermacht des (angreifenden) Gegners vernichten könnten, und solange keine weiteren, anderen Waffen zur Verfügung stehen, die diesen gerade geschilderten (unwahrscheinlichen) Abwehr-Erfolg in die Chance zu einer weiträumigen eigenen Offensive des vorher Unterlegenen verwandeln, kann man Panzerfäuste als hauptsächliche Defensivwaffen bezeichnen.
Man könnte diese Panzerfäuste mit dem Anspruch, Defensivwaffen liefern zu wollen, also eher liefern als Kampfpanzer oder Kampfflugzeuge/Helikopter. Würden aber (siehe der letzte Abschnitt) parallel zu den Panzerfäusten auch Kampfpanzer und Kampfflugzeuge/Helikopter geliefert, würden diese Panzerfäuste im Verbund mit diesen anderen Waffen dem unterlegenen Angegriffenen die Möglichkeit zur eigenen Offensive und vielleicht sogar zum „Sieg“ über den ursprünglich überlegenen Aggressor bieten – in diesem Verbund wären dann die gelieferten Panzerfäuste Waffen, die den mehr offensiven Panzern oder Flugzeugen erst den Einsatz ermöglichen.

Ich meine, dass man in einer solchen Situation die Panzerfäuste nicht mehr als Defensiv-Waffen bezeichnen könnte.
Meine erste These lautet also:
Wenn alle anderen Methoden der Friedensführung trotz großen Engagements gescheitert sein sollten, so gäbe es Waffentypen, die man einem Angegriffenen und Unterlegenen liefern könnte. Ob diese ein Instrument der Friedens-Herbeiführung sind, entscheidet sich nach der Zahl und Qualität der gelieferten Waffen für sich, aber auch in Relation zum Angreifer. Ziel einer solchen – nicht primär angestrebten – Waffenlieferung wäre dann, dem Angreifer die Möglichkeit des militärischen Sieges zu nehmen, gleichzeitig aber auch nicht den Angegriffenen so aufzurüsten, dass dieser dann mit Aussicht auf Sieg den Gegner bekämpfen kann.
Die zweite These bezieht sich auf Aktuelles:
Sie betrifft besonders den aktuellen Fall von Waffenlieferungen an die Ukraine, in der Situation vor Beginn der russischen Offensive aus dem Donbass. Die Ukraine hat bisher große Abwehrerfolge erzielt mit Waffen, die wir oben eher als defensiv bezeichnet hatten: Panzerfäuste und – oben nicht extra erwähnt – bewaffnete Drohnen, z.T. auch Boden-Luft-Raketen, die es wie die Panzerfäuste auch tragbar gibt.
Dieser Erfolg in der ersten Phase hat es der Ukraine ermöglicht, dem Gegner eines seiner großen militärisch-politischen Hauptziele, die Eroberung der Hauptstadt, zu verwehren. Der Besitz der Hauptstadt hätte die Möglichkeit geboten, die existierende Regierung auszuschalten und eine eigene von Moskaus Gnaden einzusetzen.
Die dritte These bezieht sich auf die momentanen Forderungen nach „schweren Waffen“:
- In den Medien werden immer nur die Lieferungen eines NATO-Staates thematisiert; es fehlt die Gesamtschau der Lieferungen aus allen NATO-Staaten. Denn nur dann kann abgeschätzt werden, ob die gelieferten Mengen die Ukraine sogar instand setzen könnten, Siege mit Offensivcharakter anzustreben. Es geht dabei um das Umschlagen von Quantität in eine neue Qualität.
- Die Lieferung von Kampfpanzern, Schützenpanzern, Panzerhaubitzen (Artillerie auf Panzern)
wird den Charakter des Kampfes, den wir in der ersten Phase gesehen haben, zugunsten der Möglichkeit von Offensivoperationen der Ukraine verändern. Hier schlägt eine Defensivbewaffnung in eine Bewaffnung mit offensiveren Möglichkeiten um. Sieg-Operationen von momentan noch kleineren Ausmaßen werden möglich.
- Das Drängen der ukrainischen Regierungsorgane, sogar ihres Botschafters in Deutschland, nach diesen „schweren Waffen“ ist extrem hartnäckig; im Falle des Botschafters schon un-diplomatisch. Diese Leute würden dann, wenn sie die „schweren Waffen“ bekämen, bald schon die Sperrung des Luftraumes durch NATO oder eher noch die Lieferung von Militärflugzeugen verlangen. Dieses Verlangen liegt in der Natur der Sache: gepanzerte Verbände sind nur dann schlagkräftig, wenn sie aus der Luft geschützt werden. Wenn nicht, sind sie extrem verwundbar – oder, wie man heute sagt – vulnerabel.
Und noch ein Nachtrag zur FRIEDENS-FÜHRUNG:
Nach meiner Ansicht fehlt der Friedensforschung bisher eine solche „Vorschrift“ im Sinne der „Führung und Gefecht der verbundenen Waffen“ des o.g. H.v.Seeckt.
Also eine Anleitung zur Zusammenschau aller Faktoren.
Dies ist aber auf keinen Fall die „Schuld“ der Friedensforscher, sondern aussschließlich der Zeit und den Mitteln zuzuschreiben: der Zeit, da die Friedensforschung im Vergleich zur Kriegsforschung eine sehr neue Disziplin ist – bei den überlieferten Schriftstellern der Antike schon überwiegen die Nachrichten zum Krieg und zum Heerwesen wohl im Verhältnis 9:1, eher mehr.

Und dann das Missverhältnis der Mittel, wenn man
a)finanziell vergleicht, welche Summen die Friedensforschung und die zivile Friedensarbeit bekommen, und welche die Militärforschung und die Rüstungsforschung und der Unterhalt der heutigen Armeen;
b) personell vergleicht, über welche „manpower“ die Armeen und deren Generalstäbe und Akademien verfügen im Vergleich zu den wenigen Friedensforschungsinstituten, die dazu noch in den letzten Jahrzehnten zunehmend ihre finanzielle Basis be Sponsoren finden müssen.
Autor dieses Artikels ist:
G. Jankowiak
Sodinger Str. 60
44623 Herne