Gedankliche Grundlage des Textes hier ist der Artikel „Defensiv- und Offensivwaffen“ vom April 2022. In seinem Untersuchungsziel knüpft der Text an den Artikel „Bombenstimmung… 1. Teil“ vom jetzigen Januar mit der Wiedergabe der Ausführungen von Brigadegeneral (BW) Dr. Christian Freuding an.
Die Essenz der Aussagen von Dr. Freuding war, dass durch westliche Waffenlieferungen bisher und in der Zukunft die Rückeroberung der von Russland eroberten ukrainischen Gebiete möglich würde. Da war in letzter Zeit an schweren Waffen geliefert worden die weitreichende Artillerie mit z.B. Panzerhaubitze 2000 und die Mehrfachraketenwerfer wie Himars, Speerspitze oder Rückgrat der ukrainischen Erfolge vor Charkiw und bei Cherson.
Bis etwa Anfang Dezember wurde hier in den Hauptmedien noch als „Rote Linie“ bezeichnet, westliche Panzer an UA zu liefern
Jetzt wurden in einem äußerlich seltsamen diplomatischen Spiel die Lieferung von Schützen- und Spähpanzern vereinbart: Schützenpanzer Bradley (USA), Schützenpanzer Marder (D), Spähpanzer AMX 10 RC-R – alle drei sind Systeme, die in ihren Herkunftsländern Auslaufmodelle sind. Also nichts Gefährliches? Wo ist der Zusammenhang mit der Hauptaussage von Dr. Freuding?
Und dann jetzt noch die neueste Meldung – „step by step“:
Polen will Leopard II-“Kampfpanzer“ an die Ukraine liefern, braucht dafür aber rein juristisch wohl die Erlaubnis/Freigabe der deutschen Regierung. Man erfährt zusätzlich, dass der Leo II auch an ganz viele andere Staaten geliefert worden ist, darunter NATO-Staaten wie Spanien. Um sich die Dimensionen vorzustellen, was da so überall rumsteht: 1989 besaß die BW noch ca. 2100 dieser Panzer, jetzt noch 300. Wo sind die alle hin-verkauft worden, in den letzten Jahrzehnten, in denen man nur asymmetrische Kriege weit weg führte?
Wenn die Lieferung durch Polen jetzt realisiert wird, stellt das einen Dammbruch dar, denn andere NATO-Staaten würden dann sicherlich für sich reklamieren, dann auch liefern zu dürfen.
Und noch ein Dammbruch: Wenn der Weiterlieferungs-Vorbehalt für deutsche Waffen bei einem System wie Leopard II durchbrochen wird, sind auch die übrigen Restriktionen nicht mehr haltbar.
Aber zum Zusammenhang dieser immer neuen Roten Linien, neuen Forderungen und dem Sinn all der Lieferungen, wenn sie denn zusammen an der Front sein werden.
These:
Die Ukraine braucht diese Systeme nur, wenn sie ab jetzt offensiv werden will mit dem oben von Dr. Freuding genannten kriegsentscheidenden Ziel strategischen Ausmaßes.
Das Ziel hat übrigens zur Voraussetzung, dass die russische Armee an der ganzen Front geschlagen wird. Geschlagen wird heißt hier militärisch: Sie wäre nicht mehr fähig die Gebiete zu schützen, weil sie besiegt wäre und sich hinter die eigentliche russische Grenze von vor 2014 zurückziehen müsste.Sicher würde es dann „Stimmen“ geben, man müsse sie verfolgen, Gebiete als „Faustpfand“ einnehmen …
Begründung
Bisher hat – nach Dr. Freuding selbst – die Ukraine in 3 von 4 Phasen Erfolge erzielt, zuerst vor Kiew bedeutende Abwehrerfolge mit Rückeroberungen, dann vor Charkiw Rückeroberungen und schließlich die Rück-Besetzung des diesseitigen Ufers des Dnepr bei Cherson.
Für die letzten beiden Erfolge waren auch die o.g. Artilleriesysteme mit verantwortlich.
Die Ukraine KANN also mit den bisherigen Waffensystemen VERTEIDIGEN und in gewissen Grenzen rückerobern bzw. rückbesetzen.
Bei den von Dr. Freuding genannten Gebieten, die jetzt in Angriff genommen werden sollen, handelt es sich a) um seit 2014 durch Russland oder durch die Separatisten der Ukraine weggenommene Gebiete und b) seit 24.Februar von Russland eroberte Gebiete, die zwischenzeitlich vom dortigen Präsidenten als „russisch“ anerkannt wurden.
Diese (Rück-)Eroberungen haben also ein ganz anderes militärische und politisches Gewicht, dementsprechend würden die Kämpfe heftiger und offensiver Erfolge nur mit echten Offensiv-Waffen möglich.
Damit sind wir bei der Lieferung der Schützen- und Spähpanzer – und der sicher kommenden Lieferung von Chieftains, Leoparden usw.
Beide hängen zusammen nach der Theorie der „Verbundenen Waffen“, die wir im o.g. Artikel zu Defensiv- und Offensiv-Waffen erklärt haben. Man braucht sie im Stellungskrieg und der Abwehr nur dann, wenn Feinddurchbrüche zu „bereinigen“ sind, sprich: wenn kurzfristig ein begrenzter Bewegungskrieg herrscht. Selbst da lässt sich vieles mit den neuartigen Infanteriewaffen schaffen, die aus der Deckung benutzt werden, und die die Ukraine in den bisherigen Phasen so klug einsetzte.
Im Stellungkrieg etwa bewegen sich Soldaten zur Hauptkampflinie viel sicherer in den Laufgräben, als zusammengepfercht in einem Schützenpanzer.
Erst dann, wenn der Soldat raus muss aus der Deckung, die er sich gegraben hat, wenn die Offensive beginnt, dann ist der Soldat exponiert, für Bewegungen ist er dann auf Schützenpanzer = Mannschaftstransportpanzer angewiesen.
Noch klarer bei Spähpanzern: Sie dienen laut Bundeswehr-Internetseite „Heeresaufklärungstruppe“ der Aufklärung „feindlicher Soldaten und ihrer Technik sowie des Geländes“. Nun, dies ist wesentlich (bis auf Ausnahmen) die Definition für Offensivhandlungen. Denn: Im Stellungskrieg kennt man natürlich das Gelände hinter sich, das eigene, und – durch die lange Verweildauer – auch vor sich, jedenfalls kann man beides heute wesentlich verlustreicher durch Drohnen und Satelliten „aufklären“. Erst wenn die Frontlinien nicht ausgebaut, sind, wenn man vom Stellungskrieg in den Bewegungskrieg geht, sind für Vorausabteilungen die Spähpanzer (neben anderer Technik) das Hauptmittel. Und da bieten sich gerade im jetzigen Krieg vielleicht große Lücken zum Hineinstoßen.
Große Lücken: Die Länge der Grenze vor dem Februar 2022 der Ukraine zu Russland war 1576 Kilometer, angegriffen wurde von russischer Seite wohl erst mit ca. 200 000 Mann. Da bleibt – auch jetzt nach der Teilmobilisierung mit ihren 300 000 Mann und den mindestens 100 000 Mann zwischenzeitlicher Verluste – notwendigerweise neben den Bereichen mit ausgebauten Stellungen viel Platz für „Frontlücken“, die dann besonders die Spähpanzer in Vorausabteilungen „aufklären“. Mit dem französischen AMX 10 RC-R mit seiner überdimensionierten 105 mm -Kanone kann man sogar aufgeklärte Depots und Befehlsstände überfallartig beschädigen bzw. Panik säen.
Frontlücken und „endlich“ die KAMPFPANZER:
Ich hoffe, Sie haben bemerkt, dass wir jetzt bei den Kampfpanzern angelangt sind. Zum „Aufrollen“ von Frontlücken, zum (schnellen) „Stoß in die Tiefe“, damit der Gegner sich nicht wieder festsetzen kann, da braucht man (neben den Schützenpanzern und der genannten Artillerie) die Kampfpanzer. Ohne sie geht das gar nicht, oder jedenfalls nur sehr langsam, etappenweise.
Also, Fazit:
Schützenpanzer zu liefern ist ein ganz nettes Pflaster, um kleinere Operationen in beweglicher Kampfführung zu unternehmen. Wenn dabei ein Gegenstoß nötig ist, sind auch – in begrenzter Zahl – Spähpanzer und Kampfpanzer willkommen. Sie sind dann in ihrer Funktion eher taktisch, nicht operativ, nicht strategisch.
Für die große Offensive der Art, wie sie General Freuding „in Aussicht stellte“, für Operationen mit dem Ziel, den Feind zu „zerschlagen“ und ihn damit der Fähigkeit zu berauben, sein Territorium zu halten, für kriegsentscheidende, strategische Offensiven – dafür braucht es den Verbund all dieser Panzer und der bisher schon gelieferten Waffen.
Insofern darf man gespannt sein auf das Szenario, was diesmal aufgemacht werden wird, bis sich die Bundesregierung „unter internationalem Druck“ wieder mal entschließen wird, noch eine Rote Linie zu überschreiten.
Ich hoffe nur, dass es nicht eine Rote Linie zu viel sein wird, bin aber da immer skeptischer, da
das Ziel der Offensive ja der „Sieg“ ist, also die „Niederlage“ des „Feindes“.