Theodor Körner – der Bundespräsident (von Österreich)
Sein Vater war in den Adelsstand erhoben worden. Körner selbst war Oberst in der österreichisch-ungarischen Armee des 1. Weltkrieges in der Dienststellung eines Generalstabschefs bei zwei Armeekorps und schließlich bei der 1. Isonzo-Armee.
Nach Kriegsende wurde Körner „Leiter des Präsidialbüros des Staatsamtes für Heerwesen der Deutschösterreichischen Volkswehr“ (Wikipedia), dort Verantwortlich für die Auswahl der Offiziere für die neue österreichische Armee.
Körner schließt sich nach seinem Ausscheiden aus der Armee im Jahre 1924 der damaligen österreichischen Sozialdemokratie an. Das ist nicht nur für damals eine Sensation, denn diese Sozialdemokratie war noch marxistisch und relativ revolutionär: Die österreichische Sozialdemokratie war angesiedelt zwischen den damaligen deutschen Sozialdemokratien und den Kommunisten sowjetischer Prägung: im Vergleich zur deutschen SPD viel radikaler, aber auch demokratischer als die KPdSU.
Körner ist dort u.a. Berater des „Republikanischen Schutzbundes“. Diese Organisation ist erstem Anschein nach so etwas wie das „Reichsbanner“ der deutschen SPD, wobei aber der Schutzbund – wie die Partei selbst – radikaler ist als das Reichsbanner: der Schutzbund besitzt eine handlungsfähige Wehrorganisation mit Bewaffnung. Genau hier ist Körner als Berater bis 1930 tätig. Zu seinen Konzeptionen gibt es das Buch von Ilona Duczynska: Der demokratische Bolschewik. Zur Theorie und Praxis der Gewalt.
Der Schutzbund führte 1934 den bewaffneten Aufstand gegen den Austrofaschismus, eine Tatsache, die 1945 dazu führte, dass Österreich früh seine Souveränität zurückerlangte: schließlich konnte man argumentieren, dass ein bedeutender Teil der Bevölkerung sich gegen den Faschismus mit Waffengewalt gewehrt hatte. Auch hier zeigt sich wieder ein bedeutender Gegensatz zum Reichsbanner, der im Januar-März 1933 kampflos die Machtübertragung an die Nazis hinnahm.
Körner wurde nach Niederschlagung des Schutzbund-Aufstandes auch verhaftet. Nach seiner Freilassung betätigte er sich nicht mehr politisch, aber militärwissenschaftlich. Auf Basis seiner Clausewitz-Studien nahm er Kontakt zu deutschen Militärs auf, um zu argumentieren, dass die Sowjetunion militärisch nicht zu besiegen sei. Während dieser Studien lernte er auch russisch.
1944 wurde er nach dem 20. Juli wieder verhaftet – er hatte zwar Kontakt zu den deutschen Verschwörern, diese konnten ihm aber nicht nachgewiesen werden.
1945 wird Österreich von der Sowjetunion besetzt. Körner hat als Bürgermeister von Wien auf Grund seiner sozialistischen Vergangenheit und seiner Russischkenntnisse gute Kontakte zur Besatzungsmacht.
Aus all diesen Gründen nominiert ihn die SPÖ 1950 für die Wahl des Bundespräsidenten. Körner gewinnt und führt das Amt in sehr unkonventioneller Weise bis 1953, als er sich weigert, die Vorgängerpartei der heutigen FPÖ in die Regierung aufzunehmen.
Körner ist also das Beispiel eines höheren kaiserlichen und königlichen Offiziers von niederem Adel, der zum Sozialisten wurde, die sozialistische Wehrorganisation beriet, und nach dem 2. Weltkrieg in höchste Positionen aufstieg. Er ist damit Beispiel für eine Verbindung von Soldat und Sozialist und (Bundes)Präsident, die es so in Deutschland nicht gab. Mit dieser Karriere bestätigt er persönlich die von Deutschland sehr verschiedene Geschichte der österreichischen Republiken.
Interessant finde ich, dass sich Körner wie auch der nun folgende (deutsche) Offizier Ludwig Beck als Clausewitz-Anwender betätigte und gerade auch unter diesem gedanklichen Einfluss zu Ansichten kamen, die denen der normalen Militärs entgegengesetzt waren.
Ludwig Beck
Schon im ersten Weltkrieg in Generalstabsstellungen. Weiterverwendung in der Reichswehr. Ab 1933 „Chef des Generalstabes des Heeres“ (anfangs: Chef des Truppenamtes) . In dieser und der Position davor verantwortlich für
- Die Dienstvorschrift „Die Truppenführung“
- Die Einleitung moderner Konzeptionen zum Einsatz der Armee, dabei u.a. Schaffung der organisatorischen und personellen Voraussetzung für die Panzerwaffe
- Die Einsatz-Planungen des Heeres unter der Nazi-Regierung (so wie jeder Generalstabschef in jeder Armee)
Beck reicht im August 1938 seinen Abschied ein aus Protest gegen Hitlers Planungen zum Überfall auf die Tschechoslowakei. Aus der Begründung an seinen Chef, den Oberbefehlshaber des Heeres:
„Es stehen hier letzte Entscheidungen über den Stand der Nation auf dem Spiel. Die Geschichte wird diese Führer mit einer Blutschuld beladen, wenn sie nicht nach ihrem fachlichen und staatspolitischen Wissen und Gewissen handeln. Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo ihr Wissen, ihr Gewissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbieten. Finden ihre Ratschläge und Warnungen in solcher Lage kein Gehör, dann haben sie das Recht und die Pflicht, vor dem Volk und der Geschichte, von ihren Ämtern abzutreten. Wenn sie alle in einem geschlossenen Willen handeln, ist die Durchführung einer kriegerischen Handlung unmöglich.
Sie haben damit ihr Vaterland vor dem Schlimmsten, vor dem Untergang, bewahrt. Es ist ein Mangel an Größe und Erkenntnis der Aufgabe, wenn ein Soldat in höchster Stellung in solchen Zeiten seine Pflichten nur in dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufgaben sieht, ohne sich der höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volke bewusst zu werden. Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Handlungen.“ (aus: Ludwig Beck, Studien. Hrsg. H. Speidel. Stuttgart1955, S. 15. Fettdruck von mir.)
Ich hoffe, es ist klar geworden:
- Beck fordert hier auf, die höhere Generalität sollte als Ganzes Hitler den Gehorsam verweigern.
- Wenn ein Prozess im „Untergang“ einer Nation/eines Volkes enden kann, so müssen die Verantwortlichen (auch) dieses „worst case“ bei jeder Handlung bedenken.
Folgerichtig war es also nur, dass Beck sich dem militärisch-politischen Widerstand anschloss, also dem Kreis, der dann 1944 das Attentat auf Hitler ausführte. Nach den Planungen dieser Widerstandsgruppe sollte Beck im Staat ohne Nazis Reichspräsident werden.
Ja, jetzt werden manche fragen, wieso ich Ludwig Beck hier bei den Anti-Experten erwähne. Er war ja wohl anscheinend nur gegen die Nazis …
Die große gedankliche und charakterliche Leistung vieler Männer des 20. Juli war, dass sie sich aus ihren durch Erziehung und Beruf gewohnten konservativ-militärischen Vorstellungen und Kameradenkreisen lösten. So auch Beck, der in den „Studien“, aus denen ich oben zitiert habe, eine Abkehr von vielen Glaubenssätzen der damaligen Militärs vollzog. Den Höhepunkt stellt dabei die Studie „Die Lehre vom totalen Kriege“ dar, in der er die Gedankenwelt Ludendorffs widerlegte und zu sehr humanistischen Schlussfolgerungen kommt. Auf alle Fälle lehnte er einseitig militärisches Denken ab und wandte sich gegen eine Politik der „Wunschgedanken“:
„Die Erfassung und Behandlung militärischer Fragen in ihren Zusammenhängen bis zum Urgrund in systematischer Denkarbeit, die Schritt um Schritt […] will sorgsam erlernt und geübt sein. Nichts wäre gefährlicher als sprunghaften, nicht zu Ende gedachten Eingebungen, mögen sie sich noch so klug oder genial ausnehmen, nachzugeben oder auf Wunschgedanken, mögen sie noch so heiß gehegt werden, aufzubauen. Wir brauchen Offiziere, die den Weg logischer Schlussfolgerungen in geistiger Selbstzucht systematisch bis zu Ende gehen, deren Charakter und Nerven stark genug sind, das zu tun, was der Verstand diktiert.“
Mit Verlaub aktualisiere ich dies: Es ist ohne Zweifel eine Politik der „Wunschgedanken, mögen sie noch so heiß gehegt werden“, wenn man meint, dass man die jetzige russische Führung „quetschen“ kann, wie es der gerade zum Rücktritt gezwungene GB-Premier Johnson so schön sagte. Kurz: wenn man so plant, dass die russische Führung ohne ernste Reaktionen zusehen sollte, wie NATO und Ukraine einen „Sieg“ über sie planen.
Noch zur Leistung in Becks gedanklicher Widerlegung Ludendorffs: Ludendorff war der Chefstratege des 1. Weltkrieges und einer der Putschisten des sog. „Hitlerputsches“ von 1923. Die Tatsache, dass er sich später mit den Nazis zerstritt, ändert nichts daran, dass sein Wirken und seine Gedanken eine Basis für die Gedankenwelt und die Taten der Nazis bildeten.
Beck hat es also geschafft, sich von einer Gedankenwelt zu distanzieren, wie sie ihn während seines ganzen Dienstes umgab!
Autor dieses Artikels ist:
G. Jankowiak
Sodinger Str. 60
44623 Herne