Arrow 3 – eine Mehrzweck-Waffe im politischen Sinne (28-8-23)


Am 17-8-23 ging es durch die Mainstream-Medien: die deutsche Regierung darf von Israel das Raketen-Abwehrsystem Arrow 3 kaufen. Wer sich für die sicher begeisternden technischen Daten interessiert – in den „Welt“-Fernsehnachrichten von 18.30 hat ein sogenannter Experte darüber informiert. Übrigens: in diesen Mainstream-Medien war vorher über das Thema nicht informiert worden, jedenfalls nicht als Schwerpunkt. Die ganze Sache ist also von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt eingefädelt worden. Übrigens ist mir auch kein Parlamentsbeschluss bekannt. Diesen halte ich für nötig, da mit Arrow die Politik dieses Landes eine bedeutende Änderung bekommt.

Gleiches gilt für das Konzept, das schon 2022 von 15 Ländern auf den Weg gebracht wurde: European Sky Shield Initiative (ESSI).1 Arrow muss im Verbund dieses Konzeptes, dieses Planes gesehen werden. Aber auch European Sky Shield ist bisher von den Medien grob vernachlässigt worden. Meldungen hierüber gab es hauptsächlich am 12. und 13. Oktober 2022, danach kamen nach einer Aufstellung bei Wikipedia zu diesem Suchbegriff nur noch Nachrichten, wenn weitere Länder sich anschließen wollten

Ich hatte im Mai 2023 schon bei mehreren Friedensorganisationen angefragt, was über nuklearen Abfall bei Abschuss von Atomraketen bekannt sei, und — – keine Antwort bekommen. Ich hatte dies damals gefragt, weil ich ahnte, dass ein eventueller anscheinender „Schutz“ gegen (russische) Atomraketen der Öffentlichkeit als Thema bald präsentiert werden würde.

Nun also „darf“ das neue System gekauft werden und ich möchte den vielfachen Zweck dieser Waffe hier näher beleuchten. Ich nennen jeweils nur die Haupt-Zwecke, da die Sache sonst zu unübersichtlich wird.

Da wäre zunächst der politische Zweck nach innen und außen, dann der strategische mit besonderem Blick zur russischen Seite, schließlich die militärische Funktion im engeren Sinne.

Der politische Zweck nach innen

Wenn etwas die Bevölkerung nach Corona, Migration, Wirtschaftskrise, Klimawechsel noch beunruhigt, so ist das die Gefahr einer Eskalation des Stellvertreterkrieges in der Ukraine. Bisher musste die Regierung bei ihrem Kurs, der NATO bei der Abnutzung Russlands zu folgen, wohl mit dieser undeutlichen Angst vor russischen Raketen rechnen. Jetzt kann sie gegenüber der Öffentlichkeit so tun, als ob dieses Problem bald gelöst wäre bzw. nur noch eine geringe Gefahr darstelle. Falls diese Propaganda gelingen sollte, so wäre die Regierung noch freier, ihren gerade genannten Kurs innerhalb und mit der NATO fortzusetzen.

Politische Zwecke nach außen

Mittlerweile dürfte es sich herumgesprochen haben: Neben den bisherigen europäischen Führungsmächten Frankreich und Deutschland etabliert sich nach dem Willen der dortigen Regierung Polen: es ist wohl neben den baltischen Staaten der engste Verbündete der angelsächsischen Mächte; dort steht schon das Raketen-ABwehrsystem der USA; seine Regierung ist extrem konfrontativ gegenüber RU und Bjelarus mit dessen primitivem Diktator; es baut im Moment die stärkste Streitmacht Europas auf.

Da kommt ein Arrow 3 auf deutschem Boden, gekauft von der deutschen Regierung, gerade recht um gegenüber dem wachsenden polnischen Gewicht gegenzuhalten. Das dreiteilige System soll den EU-Raum schützen können, die „Feuerleitstellen“ , also das Zentrum des Systems, wären in Deutschland und wohl durch die Bundeswehr betrieben. EU-Europa wäre also quasi abhängig von Deutschland, wenn es sich jetzt mit Arrow 3 von der Abhängigkeit vom US-Abwehrsystem in Polen und Rumänien unabhängig machen will.

Arrow 3 ist also ein Beitrag zu einer eigenständigen EU-Streitmacht mit einem Zuwachs des deutschen Gewichts.2 Es hat natürlich auch Bedeutung für das Verhältnis zu Israel.

Strategischer Zweck, bzw. strategische Gefahr

Wie oben schon angedeutet, gibt es in Polen und Rumänien schon ein Raketen-Abwehr-System, das allerdings US-Eigentum ist und den Zielen der USA dienen soll. Arrow 3 wäre, wie gesagt, die Waffe eines Staates, das Mitglied von EU und NATO ist. Seine Feuerleitstelle wäre in Deutschland, seine Dislozierung aber in weiteren NATO-Ländern

Hauptzweck im strategischen Bereich der Auseinandersetzung zwischen EU und Russland ist es, russische ballistische Raketen abfangen zu können. Damit wäre nach der Vorstellung quasi ein Dach über dem bisher relativ unbedeckten EU-Europa errichtet. – Das hört sich doch erst einmal gut an , defensiv eben …

Der defensive Charakter verschwindet aber, wenn man sich an die strategische Diskussion der letzten 60 Jahre erinnert und an die dort verabschiedeten Rüstungskontroll-Verträge (die fast alle von den USA in den letzten 20 Jahren gekündigt worden sind), so verkehrt sich der anscheinende defensive Zweck in einen, der „erfolgreiche“ Offensiven möglich macht. Warum?

Bisher galt in der großen strategischen Diskussion: ‚Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter‘. Gemeint ist, dass derjenige, der seine ballistischen Atomraketen auf den Gegner abfeuert, weiß, dass er dessen vielfach gesicherte Atomraketen nicht alle vernichten kann – es würde also zu einem atomaren „Gegenschlag“ kommen, durch den auch der ursprüngliche Aggressor vernichtet würde. Lernziel: Der Einsatz der Atomraketen lohnt sich nicht, da man in der Reaktion auch selbst vernichtet wird.

Voraussetzung für das Funktionieren dieser Abschreckung ist – neben vielen anderen Faktoren wie „open sky“ – dass niemand ein Raketen-Abwehr-System aufstellen darf, mit dem er den Atomraketen-Angriff des Gegners unschädlich machen könnte – oder: in bedeutendem Maße weniger schädlich machen könnte.

Deshalb war der ABM-Vertrag, also der Anti-Ballistic-Missile-Vertrag, also der Vertrag über die Abwehr von ballistischen Raketen ein unverzichtbarer Teil der Rüstungskontrolle seit der Cuba-Krise.

Arrow 3 (und die US-Systeme in PL und Rumänien nebst den russischen Systemen) ist ein direkter Verstoß gegen den Geist jeder ABM-Abmachung und damit auch gegen jedwede Rüstungskontrolle.

Die strategischen Rechner in Moskau werden sich jetzt ausrechnen, wie viele Raketen sie zusätzlich bräuchten um Arrow und die anderen Systeme zu überwinden. Sie werden auch ausrechnen, wie lange Russland dieses Wettrüsten – neben dem konventionellen Wettrüsten entlang der Grenze vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer – aushalten kann. Und sie werden ihrem Präsidenten vielleicht eine Rechnung präsentieren, bis wann Russland konventionell und atomar noch etwas ausrichten können wird.

Weiter ausdenken will ich dies hier gar nicht!

Für die Interessierten: Es geht um die „Perzeption“ der eigenen Kraft und der des Gegners jetzt und in der Zukunft.

Die militärische Funktion

Aus dem bisher Gesagten kann man schon eine Menge über den militärischen Nutzen ableiten. Ich will das dennoch konkretisieren:

Meine Annahme ist, dass NATO und EU es darauf anlegen, mittels des Ukraine-Krieges Russland abzunützen und selbst so aufzurüsten, dass Russland nicht folgen kann, weil es das ökonomisch und von der Technologie her nicht schafft. Kurz: Russland totrüsten, so, wie man es schon (erfolgreich) mit der Sowjetunion praktiziert hat.

In diesem Kontext würde Arrow 3 in der Vorstellung der jetzigen Regierung und ihrer Berater das Dach bereitstellen, unterhalb dessen man konventionell versuchen könnte, Russland zu „besiegen“. Und zwar dies ohne die Sorge, die Bevölkerungen EU-Europas könnten auf die Gefahren des Wettrüstens und die Gefahren einer konventionellen und atomaren Eskalation mit Protest reagieren.

Arrow wäre dabei für die Abwehr von Raketen großer Reichweite gedacht, das System Patriot eher für mittlere Reichweite. Weite Teile Russlands mit den dortigen Mittelstrecken- und Langstreckenraketen könnten so vom Raum des EU-Europa abgedeckt werden.

Nicht übersehen darf man Entwicklungen, die auf den ersten Blick gar nichts mit Luft-Verteidigung zu tun haben. Ich spreche von denjenigen Waffen, die die Zahl anfliegender Raketen schon vor deren Start vermindern könnten, etwa das Taurus-System aus deutscher Produktion. Im Moment steht ja wieder die Entscheidung an, dieses an Ukraine zu liefern. Aber konkret: Gerade Taurus ist im Vergleich zu den bisherigen „Marschflugkörpern“ in der Lage Bunker so anzugreifen, dass es in diesen eindringt und erst in einer bestimmten Tiefe dort explodiert. Mit Taurus und Co. könnten alsorussische Raketensilos angegriffen und der Start von ballistischen Raketen verhindert werden. Dies ist besonders bei Raketen mit Mehrfachsprengköpfen von „Vorteil“, da man so nur eine Waffe benötigt, um eine Trägerwaffe zu zerstören, die sonst Mehrfachsprengköpfe tragen könnte, die man mit Arrow einzeln abfangen müsste.

Meiner Ansicht nach wird man in Moskau beide Systeme, nämlich bunkerbrechende Luft-Boden-Waffen und Flugabwehrwaffen zusammen in Rechnung stellen. Wie dort kalkuliert werden könnte, habe ich im vorigen Kapitel beschrieben.

Ich persönlich glaube nicht, dass es einen auch nur halbwegs zuverlässigen Schutz gegen die Raketen der anderen Seite gibt. Wenn diese meine Meinung stimmt, wäre das dicht bevölkerte EU-Europa mit all seinen gefährlichen Industrien und Atomkraftwerken trotz European Sky Shield weiter von Zerstörung und Verseuchung bedroht.

Eine verantwortungsvolle Regierung in EU-Europa, vor allem in dessen Mitte, müsste also erst alle Instrumente der Diplomatie und der Rüstungskontrolle versucht haben, bevor sie sich auf einen immer unzuverlässigen „Schutz“ durch ABM-Systeme verlassen könnte.

Fazit für die Friedens-Führung durch einen Vergleich zweier Epochen

Ich möchte gerade im historischen Vergleich darauf hinweisen, dass es der heutigen Politik mittlerweile völlig am diplomatischen Engagement mangelt. Beweis: Damals, als „Russland“ in Gestalt der Sowjetunion noch mitten in Deutschland und in Europa, an der Elbe stand, fühlten sich europäische Regierungen – mit Helmut Schmidt als Mahner – von den modernisierten sowjetischen Mittelstreckenraketen wie SS 20 bedroht. Sie reagierten aber NICHT mit einem sofortigen Gegen-Rüstungs-Beschluss, sondern mit dem sogenannten „NATO-Doppelbeschluss“, der die Vorbereitung auf die Gegen-Rüstung mit dem Verhandlungsangebot, also der Diplomatie, verband. Auch plante man nicht zeitgleich eine europäische ABM-Rüstung.

Dieser Vergleich schon beweist, mit welchen fundamentalen Mängeln behaftet die heutige Politik der Enkelgeneration ist.

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Wer zunächst einen kurzen Überblick über Dimensionen und Richtung dieser EU-Aufrüstung haben möchte, kann zu dem Heftchen der Partei der „Linken“ greifen mit dem etwas reißerischen Titel „Explodierende Rüstungsausgaben“. Online: https://oezlem-alev-demirel.de/publikationen/

1https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/sky-shield-soll-luftabwehr-der-nato-gegen-nuklear-raketen-verstaerken-18383802.html

2Im engeren Sinne geht es hier bei European Sky Shield um die Flugabwehrraketensysteme IRIS-T SLM, MIM-104 Patriot und Arrow 3 . Iris wirkt im Kurzstreckenbereich, Patriot eher im Mittelstreckenbereich, Arrow3 kann sogar die Stratosphäre erreichen und sowohl Mittel- wie Langstreckenraketen zerstören. Im Rahmen der European Sky Shield verkündete die deutsche Hensoldt AG im Dezember 2022, 30 TRML-4D-Radare für das IRIS-T-SLM-Luftverteidigungssystem zu bauen. Wer sich über die Konkurrenzen bei ABM informieren möchte:, konsultiere etwa: https://www.welt.de/politik/ausland/plus246965484/Arrow-3-Darum-wird-die-Raketenabwehr-zum-naechsten-Streitthema-zwischen-Berlin-und-Paris.html?icid=search.product.onsitesearch


Autor dieses Artikels ist:

G. Jankowiak

Sodinger Str. 60

44623 Herne