Der Vermittler


(1. September 2022)

Der Anlass

Ein Ereignis der vergangenen Wochen ließ mich wieder an den Vermittler als einen Faktor bei Friedensschlüssen denken:

Der Gewaltausbruch zwischen Israel und der Organisation „Islamischer Dschihad“ wurde hier im Öffentlich-Rechtlichen schon früh damit kommentiert, dass jetzt alle auf den erprobten Vermittler in diesem  Konflikt warteten – Ägypten. Dieses vermittelte dann auch sehr schnell eine Waffenruhe zwischen den Beiden.

Übrigens bemerkenswert, dass hier ein Staat mit Sitz in der UNO und im Besitz regulärer Streitkräfte, also allen Zeichen der Souveränität, über Vermittler verhandelt mit einer von zwei Organisationen aus einem Gebiet, welches nicht als Staat gilt, und in welchem diese Organisationen im Streit liegen mit der Regierung desselben Volkes, die aber im größeren Landesteil residiert und aus Sicht der beiden Organisationen eine Verräter-Organisation ist.

Schon an diesem extremen Ungleichgewicht der Streitenden zeigt sich eine der wichtigen Funktionen von Vermittlern:

Vermittlung zwischen Streitenden, die wegen ihres grundverschiedenen Status meinen nicht miteinander verhandeln zu  können. Diese brauchen einen Vermittler, weil ihnen eine Lösung auf dem Weg der Gewalt fehlt: keiner der beiden Streitenden könnte den anderen entscheidend niederringen, ihm im Sinne von Clausewitz seinen Willen diktieren. Israel könnte dieses eigentliche Ziel eines Krieges nur um den Preis eines Einmarsches in den „Gaza-Streifen“ erreichen,  der „Islamische Dschihad“ hat nicht die militärischen Mittel für einen regelrechten Krieg.

Anstatt jetzt systematisch das verschiedene Gewicht von Vermittlern in den verschiedenen Konflikttypen darzustellen, wie ich das für den obigen Konflikt versucht habe, möchte ich einen schon sprichwörtlichen Vermittler wieder ins Gedächtnis rufen:

Otto v. Bismarck auf dem Berliner Kongress 1878

Das Zustandekommen des Kongresses

(Wem das alles zu lang ist, der/die möge weiter unten bei dem Kapitel „Planung, Verlauf und Ergebnisse des Kongresses“ weiterlesen!)

Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war das Osmanische Reich – territorial betrachtet – eine europäische Großmacht, deren Grenzen weite Teile des Balkan umfassten, tributpflichtig waren ihm fast alle neuen Fürstentümer bis zur österreichisch-ungarischen Grenze. – 1878, nach einem ersten von Russland diktierten Friedensschluss von San Stefano, besaß es gerade noch einen Zipfel Thrakiens, der die frühere Hauptstadt Edirne umfasste.

aus: Putzger. Historischer Weltatlas. Jubiläumsausgabe/90. Ausgabe 1969, S. 105

Wie konnte dies in 50 Jahren so kommen – und warum erholte sich das Osmanische Reich noch im selben Jahr?

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts hatten das zaristische Russland und das Osmanische Reich eine Reihe von Kriegen geführt, zuerst um Teile der heutigen Ukraine, besonders die Krim, später um den Zugang zum Bosporus, den Zugang nach Konstantinopel/Istanbul. Das Osmanische Reich befand sich ja im Zustand fortschreitender Schwäche (trotz der Reformbewegung Tanzimat), deshalb konnte Russland Siege erringen, die es ihm erlaubten, dem Osmanischen Reich extreme Friedensbedingungen zu stellen – wobei der Sultan dann immer wieder von dem System des europäischen Gleichgewichts gerettet wurde: das beste Beispiel ist der Krimkrieg, in den GB und F gegen Russland eintraten, um eine Ausdehnung Russlands bis Konstantinopel zu verhindern. Diese Einnahme der uralten religiösen Hauptstadt aller  Orthodoxen hätte einen ungeheuren politischen und moralischen Zugewinn Russlands dargestellt, dieser hätte das europäische Gleichgewicht verändert, woran die beiden Westmächte kein Interesse haben konnten. Wohlgemerkt: GB und F halfen dem Osmanischen Reich nicht aus irgendwelchen ideellen Motiven, sondern aus machtpolitischem Kalkül. Sie selbst behandelten das Osmanische Reich in ihren Beziehungen mit ihnen selbst eher wie Kolonialherren.

Nachdem es Russland 1829 fast gelungen wäre, in die  alte ‚orthodoxe Hauptstadt‘ Konstantinopel einzumarschieren, sah es beim neuen russisch-osmanischen Krieg 1877/78 auch wieder danach aus; bis dann wieder GB und F intervenierten und den  russischen Vormarsch stoppten. Da aber alle Beteiligten vor einem offenen Krieg zurückscheuten, konnte Russland zuerst eine harten Frieden diktieren:  den Friedensschluss von San Stefano von 1878. Russland setzte also auf das bekannte diplomatische Werkzeug des „fait accompli“, der ‚vollendeten Tatsache‘.

Der Haupterfolg für RU in Europa lag darin, dass das Osmanische Reich fast alle Besitzungen in Europa verlor. Nur Istanbul selbst und ein kleiner Teil Thrakiens verblieben beim Reich. Russland trat als Schutzherr aller Slawen auf: Serbien, Montenegro und Rumänien wurde in vollständige Selbstständigkeit entlassen; Bulgarien konnte sich im Süden bis ans ägäische Meer vergrößern, im Westen wäre seine Grenze kurz vor der heutigen albanischen Hauptstadt Tirana verlaufen und im Nordwesten kurz vor Pristina, heutiges Kosovo. Das heutige griechische Kavala wäre bulgarisch geworden.

Dieses Bulgarien,  so hoffte man am Zarenhof, wäre indirekt von St. Petersburg steuerbar,  sodass Russland tatsächlich den Großteil des Balkans beherrscht hätte.

Das sah man in den übrigen europäischen Hauptstädten anders:

Die Schwächung des Osmanischen Reiches und der direkt und indirekte Machtzuwachs Russlands waren derart, dass die übrigen europäischen Großmächte wegen des stark gestörten

Gleichgewichts

intervenierten.

Planung, Verlauf und Ergebnisse des Kongresses

Daraus folgte dann die Einberufung eines europäischen Kongresses,  des sog. Berliner Kongresses vom Sommer 1878; der Ort bestimmte auch den Vorsitz: die Regierung des gerade vor 7 Jahren gegründeten Deutschen Reiches sollte diesen Vorsitz innehaben.

Allein schon dies ist bemerkenswert aus folgenden Gründen:

  • Ort des Kongresses war also die Hauptstadt eines gerade gegründeten Reiches, welches selbst das Gleichgewicht durch seine Gründung empfindlich gestört hatte;
  • Vorsitzender des Kongresses war der dt.  Reichskanzler und preußische Ministerpräsident v. Bismarck.  Dieser hatte ja 1866 den „Bruderkrieg“ gegen Österreich geführt und 1870/71 den Krieg gegen Frankreich mit seinen harten Friedensbedingungen, u.a. der Annexion Elsaß-Lothringens.

Weiter bemerkenswert an diesem Kongress war:

  • Der erwähnte v.Bismarck, der mindestens in Teilen des Auslandes wegen 1866 und 1870 als Gewaltpolitiker verschrien war, der seit seiner Berufung 1862 bis 1866 ohne genehmigten Staatshaushalt Preußen regiert und zwei Kriege gewonnen hatte, leitete den Kongress so,  dass ihm am Ende die meisten den Titel zuerkannt hätten, den v.Bismarck sich selbst zugelegt hatte: den des „ehrlichen Maklers“.
  • Entscheidenden Anteil an diesem Eindruck hatte, dass v.Bismarck ja nach der Einigung 1871 Deutschland als „saturiert“ bezeichnet hatte, und diesen Eindruck  in diesem Kongress bestätigte: er leitete die Verhandlungen ohne das Bestreben für Deutschland materielle Vorteile/Zugewinne zu fordern.
  • Wohl deswegen akzeptierten die Anwesenden seine Verhandlungsführung, die ein moderner Biograph Bismarcks, Ernst Engelberg, so beschreibt:

„Da das Deutsche Reich beim großen Länderschacher vor und während des Berliner Kongresses nichts für sich erhaschte und Bismarck um eine ebenso straffe wie umsichtige Verhandlungsführung bemüht war, konnte das Mißtrauen europäischer Kabinette gegenüber der preußisch-deutschen Politik abgebaut werden. Unverkennbar erhöhte sich damit das moralisch-politische Ansehen des deutschen Reichskanzlers.“

Engelberg, E: Bismarck. Das Reich in der Mitte Europas. Berlin o.J. (Vorwort vom Mai 1990),S. 283

  • An den Vollversammlungen des Kongresses nahmen alle europäischen Großmächte teil,  auch das mit Deutschland wegen  1871 verfeindete Frankreich, auch das eigentlich total besiegte Osmanische Reich, welches aber formell – auch wegen des Gleichgewichts – weiter als (europäische) Großmacht galt.
  • Die übrigen (neuen) Staaten Europas waren zu den Vollversammlungen nicht eingeladen.
  • „Wertebasierte“ Außenpolitik spielte unter den Verhandelnden keine Rolle, obwohl die Presse einiger Länder zugunsten damaliger „Werte“ trommelte. Es dominierte noch die traditionelle Interessenpolitik der Großmächte. Der Vorteil dieser Interessenpolitik ist, dass Großmächte die Chance erhalten Streitfragen in gegenseitigem Nehmen und Geben zu entscheiden und dadurch die Fragen, durch die sie, die Großmächte, in Konflikte geraten könnten, entschärfen können. Damalige Werte wie die Souveränität eines Volkes über sein Schicksal (also die Nationalstaatsbestrebungen) und die beginnende Demokratie- und Menschenrechtsbewegung wurden nicht erhört. Dies mag unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit ein Nachteil sein, ein Vorteil der traditionellen Interessenpolitik war und ist, dass die Anzahl der zu lösenden Probleme und Konflikte überschaubar blieb.
aus: Putzger. Historischer Weltatlas. Jubiläumsausgabe/90. Ausgabe 1969, S. 105
  • Manche Aufgabe auf diesem Kongress war leichter als heute, da wir es heute mit einer Welt der „geschlossenen Chancen“ (N. Elias) zu tun haben: es gibt keine Räume, in denen man für eine der Mächte Kompensationen einrichten kann. 1878 war das anders. Man denke daran,  dass Frankreich als Kompensation die „Erlaubnis“ zur kolonialen Aneignung des heutigen Tunesiens erhielt. So ein Ablenken durch Kompensationen ist heute kaum noch möglich.
  • Der Kongress in seinen Vollsitzungen der Repräsentanten der Großmächte tagte ungewöhnlich fleißig:
  • a) Durchführung: Es gab 20 ordentliche Sitzungen der Delegierten im Range von Regierungschefs/Ministerpräsidenten unter Vorsitz des dt.  Reichskanzlers
aus: Lebendiges Museum Online.( Ich habe extra ein weniger oft veröffentlichtes Bild genommen)
  • b) Vorbereitung: Der Kongress war umfassend vorentlastet worden durch die Londoner bilateralen Konferenzen der britischen Regierung mit der russischen, der osmanischen und der österreichisch-ungarischen ;
  • c) Nachbereitung: Nachbereitet wurde er auf Botschafterebene. Denn:  Der eigentliche Kongress mit den 20 Sitzungen kümmerte sich um viele Details nicht, sondern überließ diese den nachfolgenden Botschafterkonferenzen. – Mich erstaunt, dass es diese 20 Sitzungen gab. Denn: Eine Konferenz wie die von 2015, die sogenannte „Minsk II“-Konferenz vom Februar 2015, tagte ein Mal auf Ebene der Regierungschefs, dafür aber 17 Stunden. Und 17 Stunden bedeutet eindeutig eine Überforderung der dort Anwesenden!!!

Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass das Fehlen einer Karte über den genauen Verlauf der Waffenstillstandslinie auch mit der Überforderung der Regierungschefs in einer solchen Konferenz zu tun hatte. Das Fehlen der Karte machte es dann den Kontrahenten leicht, bei den Gefechten um Debelzewe/Debalzewo die Minsker Vereinbarungen zum ersten Mal vorzuführen. Das Fehlen der Karte hier und dagegen 1878 in Berlin die Möglichkeit Einzelheiten der Grenzziehung den Nachfolgegesprächen zu überlassen, zeigen übrigens den Unterschied zwischen den Epochen, in denen die beiden Kongresse stattfanden.

 (Die Dauer der 17 Stunden habe ich aus dem Wikipedia-Artikel zu Minsk II, Stand: 22.8.‘22 Der Artikel wiederum stützt sich bei der Zeitangabe auf eine Artikel der FAZ vom 15.2.2015, wo schon im Inhaltsüberblick von „Nervenkrieg“ die Rede ist. )

Fazit zum Thema „Vermittler“

  1. Beim Berliner Kongress kann man betrachtend lernen, wie unter den Bedingungen eines Konzerts von Großmächten und mit der Methode des Interessenausgleichs erfolgreich Politik gemacht wurde. (Die Kritik von Taylor, der statt der berliner Lösung lieber die von San Stefano mit Großbulgarien gehabt hätte, führt sich selbst ad absurdum)
  2. Heutige Politiker, die mit der Methode der Wertebasierung an die Weltprobleme herangehen, sollten sich klar sein,  dass sie bei alleiniger und durch die Medien „herumposaunter“  Verwendung dieser Methode die Probleme vervielfachen (und fundamentalisieren) könnten.
  3. Ein Vermittler, der zum jeweiligen Zeitalter und dem jeweiligen Problem passt, und der von den Gegebenheiten seines Staates aus in  der Lage ist zu vermitteln, ist fundamental für das Gelingen eines Kongresses: damals entsprach v.Bismarck den Anforderungen; auch war glaubhaft,  wenn er über seinen Staat sagte, dieser sei  „saturiert“.
  4. Braucht ein Vermittler „Macht“? v.Bismarcks „Macht“ lag  nicht allein in seiner energischen Konferenz-Führung, auch nicht in der kriegerischen Macht seines Staates; so  sagte v.Bismarck ja auch, die zu lösenden Fragen auf dem  Balkan seien ihm nicht das Leben eines einzigen preußischen Soldaten wert, d.h. er drohte Widerstrebenden auf dem Kongress nicht mit dem Einsatz der preußisch-deutschen Armee. Seine „Macht“  als Vermittler bestand in seiner Fähigkeit, Widerstrebenden vor Augen zu führen, welche Entwicklungen ihnen drohten, wenn sie nicht kompromissbereit waren. Zu Bismarcks Zeiten waren die Entwicklungen, vor denen er als Vermittler warnen konnte:
  5. a)die Warnung vor nationalistischen oder sozialistischen Revolutionen und b) die Warnung vor dem Zustandebringen von Koalitionen gegen den Widerstrebenden.
  6. Heute sollte schon  dann, wenn ein Konflikt sich ankündigt,  ein Vermittler benannt werden. Unter heutigen Maßstäben gibt es auf der Welt auf den ersten Blick nur eine Organisation,  die keine eigennützigen Interessen vertritt: die UNO. Deren Generalsekretär ist also per se vor und in Konflikten der „ehrliche Makler“. Nur: der UNO-Generalsekretär hat keine eigenen Streitkräfte (übrigens ähnlich wie der Papst). Welche Druckmittel könnte ein „Makler“ heute anführen, um Widerstrebende kompromissbereit zu machen?
  7. Zunächst wird ein UNO-Generalsekretär bei den meisten Konflikten nicht ohne eine  Gruppe von Staaten dastehen, die seine Vermittlung unterstützen – im jetzigen Ukraine-Konflikt wären das all  diejenigen, die allein schon von der Nahrung her unter dem Krieg leiden, und all die, die vom „Sieg“ einer der beiden Seiten ihre Zukunftschancen beeinträchtigt sehen;
  8. Sodann ist seit 1878 die tatsächliche oder veröffentlichte Welt-Meinung eine Macht geworden, die ein Gewicht darstellt – diese Macht ist seit der Zeit des Berliner Kongresses gewachsen. Schon damals,  zu Zeiten des Krim-Krieges berichteten die Medien erstmals „live“ vom Kriegsschauplatz und konnten die „Zivilgesellschaften“ aufrütteln: Florence Nightingale und Henri Dunant.
  9. Schließlich werden wohl alle Regierungen dieser Welt von demjenigen Wandel des Klimas bedroht, den man mittlerweile Klima-Katastrophe nennen kann, und der wohl im Kern ein Aufstand der Natur  gegen ihre Ausbeutung durch die Spezies Mensch darstellt: so steht im Moment Pakistan, ein Atomwaffenbesitzer, unter Wasser; China ist ausgetrocknet, was u.a. dazu führt,  dass in der „Werkbank“ der Welt viele Fabriken stillstehen; Frankreich, ein Atomwaffenbesitzer, kann kaum seine AKWs kühlen; mindestens vom  Westen der USA wird schon seit Jahren von steigender Dürre berichtet.

Persönliche  Bemerkung zu den Lehren:

Deutschland und die Völker der Sowjetunion waren diejenigen, die im 2.  Weltkrieg die höchsten Verluste erlitten hatten, und zwar ausgelöst durch den von vornherein als rassischen Vernichtungskrieg geplanten Krieg Nazi-Deutschlands. Allein schon deshalb,  aber auch mit Blick auf die Vermittlerrolle Deutschlands 1878, hätte es vor dem jetzigen Ukrainekrieg, der historischen Rolle Deutschlands entsprochen, zwischen dem heutigen Russland und der Ukraine eine Vermittlerrolle einzunehmen, nicht die eines einseitig Partei nehmenden Landes.

Auch weisen die geschichtliche Entwicklung Deutschlands nach 1918 und die Russlands nach 1989/91 solche strukturellen Parallelen auf, dass schon von daher ein verständnisvolles, aber auch mahnendes Verhältnis nahe gelegen hätte.

v.Bismarck hätte vielleicht es zur Hauptaufgabe Deutschlands heute erklärt, den Atomkrieg der heutigen Großmächte auf dem Rücken Europas zu verhindern – auch unter Inkaufnahme von schmerzhaften Kompromissen in europäischen Grenzregionen.

Nachbemerkung:

Diese Darstellung soll nicht ein neuer Beitrag zu einer bei Deutschnationalen beliebten Bismarck-Verehrung werden. Bismarck war lt. neueren Forschungen weder ein Held des Nationalen noch ein konservativer Monarchist. Er war ein Politiker, der ein oder zwei Endziele mit höchst elastischen Mitteln verfolgte, und bei dieser Verfolgung immer alternative Wege einplante. Alternative Wege, die oft auch dem ersten gewählten Weg widersprechen konnte.

Wem das zu abstrakt ist: Nationale Geschichtsschreibung verbreitet ja immer noch, Bismarck habe seit 1871 Deutschland als „saturiert“ gesehen und sei deswegen für Frieden eingetreten, während erst nach Bismarck Wilhelm II. Kriegsrisiken provoziert habe. Nun, eine Veröffentlichung wie „Bismarck und die Generale“ weist nach, dass Bismarck dann, wenn es ihm in seinem Balancespiel mit innenpolitischen und außenpolitischen Faktoren passend schien, auch Präventivkriegsgedanken hegte und – auf ein politisches Ziel gerichtet – diese dann auch den entsprechenden Personen oder Organisationen gegenüber äußerte, wobei auch dieses wieder taktisch gemeint sein konnte.

Unter dieser Voraussetzung, in Bismarck keinen Verfechter irgendwelcher heutiger Ideale zu sehen, sondern einen auch für damalige Verhältnisse höchst flexiblen Taktiker, möchte ich die obige Schilderung verstanden haben, wie er in den Ruf eines „EHRLICHEN MAKLERS“ kam. Und noch eine Bemerkung, die andeutet, wie geistreich ein v.Bismarck vielleicht formulierte: Der Beruf des „Maklers“ im Immobilienbereich wird sehr selten mit dem Epitheton „ehrlich“ kombiniert. Bismarck könnte damit angedeutet haben,  dass er a) das Unmögliche versuchen würde, b) unter der Maske des Ausgleichs doch auch wieder (deutsche) Interessenpolitik trieb.


Autor dieses Artikels ist:

G. Jankowiak

Sodinger Str. 60

44623 Herne