(24.6.24, aktualisiert 2.7.’24)
Wenn Sie die Überschrift etwas rätselhaft finden —- 8200 und 300 stehen jeweils für Millionen Euro; 8200 sind die 8,2 Milliarden Euro, für die die Bundeswehr am 20.6.d.J. Artillerie-Munition vom Kaliber 155mm bei der Fa. Rheinmetall bestellte. Die 300 stehen für die Summe, die laut UN-Hilfswerk nötig wäre, dem Staate Tschad zu helfen, die 1,2 Millionen Flüchtlinge aus anderen Staaten, die auf seinem Gebiet leben, ein Jahr lang zu verpflegen.
Ja, und das Größenverhältnis zwischen diesem Rüstungsauftrag und dieser (noch nicht verfügbaren) Summe für humanitäre Hilfe ist eben 27 : 1. Die humanitäre Hilfe also ist lächerlich gering im Vergleich zum Rüstungsauftrag. Sie wird noch geringer, wenn man in Rechnung stellt, dass die 8200 Millionen ja nur der Betrag eines der 32 NATO-Staaten ist, und innerhalb dieser Grenzen nur für die „Verbrauchsmaterialien“ einer Waffengattung einer Teilstreitkraft!
Wer nun meint, solch ein Denken sei „Humanitätsduselei“, der möge folgende innenpolitische und außenpolitische Folgen dieses Ungleichgewichts bedenken:
- Für die 8200 Millionen bekommt die Bundeswehr ja nicht einmal den wirklichen Gegenwert an Granaten. Abzuziehen sind zum einen die ungeheuren Steigerungsraten bei den Preisen: Anfang 2022 kostete eine Granate 2000 Euro, Ende 2022 (oder 2023) schon 8000 Euro (so entnahm ich es einer Dezemberausgabe der Zeitschrift Stern, die mir im Wartezimmer in die Hände fiel). Mittlerweile dürften die Dinger noch teurer geworden sein. Ich bleibe weiter dabei, dass der eigentliche Geld-Gegenwert für 1 Granate eher bei 2000 Euro liegt. Der Rest ist Preisaufschlag der Krisengewinnler. Krisengewinnler dürften zum kleinen Teil die Angestellten von Rheinmetall sein, in wesentlich höherem Maße die Unternehmensführung („Boni“!!!) und natürlich – ohne jede Arbeit – die Aktionäre.
- Russland geht da anders vor. Es hat eine staatliche Rüstungswirtschaft. Zwar werden wohl dort auch „angemessene“ Vergütungen bezahlt, die Dividenden aber fehlen völlig. Man siehe dazu Oberst Reisner vom österreichischen Generalstab auf ntv vom 29.1.2024: „Sie dürfen nicht vergessen: Die russische Kriegswirtschaft produziert auf Kommando. Die europäische Rüstungsindustrie ist vor allem privatwirtschaftlich strukturiert und organisiert. Die Konzerne produzieren nur, wenn es Abnahmezusagen gibt, wenn also sicher Gelder fließen.(…)“
- Die 8200 Millionen sind aus dem sogenannten „Sondervermögen“ zu bezahlen, also aus Schulden, für die wir alle dann die Zinsen zahlen; oder sie kommen aus dem regulären Haushalt und gehen da zu Lasten anderer Ministerien. Und die Konzerne sitzen am längeren Hebel: die produzieren nur, wenn der Staat auf die Vertragsbedingungen eingegangen ist, die sie, die Industrie, fordert. Im jetzigen Fall soll die Industrie einen Vertrag über 10 Millionen Granaten gefordert haben – falls z.B. eine nächste Bundesregierung die Diplomatie der Rüstung vorziehen sollte, so müsste sie mit saftigen Konventionalstrafen rechnen, wenn sie den Vertrag kündigen wollte.
- Diese Summe und viele andere fehlen zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und sozialen Leistungsfähigkeit unseres Landes.
- All diese Summen vergiften das politische Handeln in unserem Land selbst. Kronzeuge ist der US-Präsident Eisenhower, der in seiner Abschiedsrede vor dem Militär-Industrie-Komplex warnte, der per se demokratiefeindlich ist. (s. hierzu hier im Blog den Artikel: Ein Kriegsgrund der letzten 100 Jahre: Präsident Eisenhower informiert, vom 4. April 2022)
- Solche Ungleichgewichte produzieren in der Wahrnehmung der Weltgemeinschaft wachsende Vorbehalte gegen „den Westen“. Was da heranwächst, kann man sehr schön verfolgen in dem Aufsatz von Dominique de Villepin in der Deutschen Ausgabe von „le monde diplomatique“. Villepin ist nicht irgendjemand, sondern war französischer Spitzenpolitiker: von 2002 bis 2004 war er Außenminister, danach Innenminister und von 2005 bis 2007 Premierminister. Villepin schreibt unter anderem: „Wir müssen den Beweis antreten, dass sich mit kollektiven Verfahren (von Staaten auch der BRICS-Staaten, G.J.) etwas bewirken lässt – natürlich für den Klimaschutz, aber auch gegen das politische Phänomen der Failes States, mit dem zwei Plagen der Globalisierung einhergehen: der internationale Terrorismus, dern den Sahel, den Nahen Osten und Zentralasien vergiftet; und die organisierte Kriminalität, die auf allen Kontinenten auf den Vormarsch ist.“ Also: jeder (verteuerte) Euro für Waffen für den europäischen Krieg ist ein verlorener Euro für den Klimaschutz, er fördert den Terrorismus und die organisierte Kriminalität. Ich möchte hinzufügen: auch die Migration aus den Failes States. Villepin machte o.g. Befund, nachdem er zu einem der Organe „des Westens“ geschrieben hatte: „Die G7 haben nur noch die Legitimität einer zur Karikatur gewordenen Weltregierung der reichsten 10 Prozent, die die Hälfte der weltweiten Reichtümer kontrollieren – ein exklusiver Privatclub des Globalen Westens.“
Ja, und eine Nation dieses Globalen Westens gibt 8200 Millionen allein für eine Sorte Munition einer Waffengattung einer Teilstreitkraft aus!!! Ja, ich wiederhole mich …
Also werde ich es mit einem Gleichnis nach Art von Winston Churchill erneut ausdrücken, was hier passiert. Churchill schrieb einmal über den Flottenbau des kaiserlichen Deutschland sinngemäß, dass jeder Hammerschlag auf einer deutschen Werft (zum Bau von Kriegsschiffen, G.J.) die Allianz zwischen Großbritannien und Frankreich weiter festigte.
Jetzt mein Gleichnis:
Jeder falsch ausgegebene Euro fördert im globalen Maßstab die Tendenzen, die „den Westen“ langfristig zu Fall bringen könnte, durch: Klimakatastrophen, Migration, Terrorismus, organisierte Kriminalität.
Nachtrag:
Der oben zitierte Villepin ist kein Friedensengel. Er fordert neben Reformen der UNO und im Denken des Westens auch eine eigenständige europäische Streitmacht mit europäischen Rüstungsvorhaben. Ich meine: wirkliche gemeinsame Rüstungsvorhaben sind wesentlich billiger und besser einzuschätzen als diese Aufrüstungsrunden der 30 europäische Natostaaten.
„Neue“ Wege der Finanzierung abseits von regulärem Haushalt und „Sondervermögen“:
Laut Tagesschau vom 21.6. können die 100 neuen Leos nicht aus dem Haushalt und auch nicht aus dem „Sondervermögen“ bezahlt werden. Statt dessen gibt es eine „Verpflichtungsermächtigung“, d.h. der Bund garantiert, dass die Rechnungen „am Ende bezahlt werden“. (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/bundeswehr-munition-panzer-100.html)
Aktualisierung
Das „Handelsblatt“ meldete am 25.6:
Pistorius will bis zu 15 Mrd. für Munition
Berlin. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will einen Rahmenvertrag für die Beschaffung von Artillerie-Munition deutlich aufstocken auf ein Gesamtvolumen von bis zu 15 Milliarden Euro. Das Finanzministerium übermittelte dem Haushaltsausschuss des Bundestages eine entsprechende Vorlage, wie Reuters am Dienstag von einem Insider erfuhr.
Demnach soll über einen Änderungsvertrag die Gesamtbestellmenge um zwei Millionen Schuss auf 2,35 Millionen Schuss 155-Millimeter-Munition etwa für die Panzerhaubitze 2000 erhöht werden. Über die Vorlage für den Rahmenvertrag mit den Firmen Diehl Defence und Nammo Raufoss hatte zuerst „Der Spiegel“ berichtet.
Zunächst soll dem Insider zufolge eine erste Teillieferung von 200.000 Geschossen aus inländischer Fertigung im Wert von gut 1,3 Milliarden Euro für die Jahre 2024 bis 2031 bestellt werden. Der Ausschuss solle am 3. Juli entscheiden.
FDP-Haushaltspolitiker Karsten Klein sagte Reuters, Munition sei die entscheidende Größe für die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr und wichtiger Bestandteil der Abschreckung. Deshalb seien die Mittel im Haushalt deutlich erhöht worden. „Grundsätzlich unterstütze ich die Bestrebungen, diesen Weg fortzusetzen“, sagte Klein. „Die jetzt vorliegende Vorlage werden wir wohlwollend mit der gebotenen Sorgfalt prüfen.“
Ich habe mal nachgerechnet, mit Blick auf meine oben geschätzten Kosten für eine Granate.
1 300 000 000 Euro : 200 000 Granaten = 6500 Euro pro Granate
15 000 000 000 Euro : 2 350 000 Granaten = 6383 (gerundet bei letzter Stelle)
Da scheinen relativ konstante Preise hinterzustehen, denn die 6500 für die Erstlieferung unterscheiden sich ja relativ wenig von den 6383 für die Stückkosten der Gesamtbestellmenge.
Aber:
Ich bzw. der Stern scheinen in der ersten Fassung dieses Artikels oben zu hoch gegriffen zu haben; oder die Kosten für die jetzige Pistorius-Bestellung sind in dem „Rahmenvertrag“ (???) extra niedrig veranschlagt, um die Akzeptanz zu erhöhen; oder man hält sich an die vereinbarten Kosten, liefert aber dann weniger. Beide Varianten kennen wir aus fast allen Waffenaufträgen.
Welcher Bedarf ergibt sich aus dem bisherigen Ukraine-Krieg
In einem Interview für „Tagesschau“ nennt ein „Experte“ 5 000 bis 6 000 Granaten/Tag, damit die UA wieder in die Offensive kommen kann. Das beinhaltet nicht die Menge, die bisher für die Verteidigung gebraucht wurde. Diese Menge nennt der „Experte“ nicht. (https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-munition-mangel-suche-100.html)
Aktualisierung
Das „Handelsblatt“ meldete am 25.6:
„Pistorius will bis zu 15 Mrd. für Munition
Berlin. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will einen Rahmenvertrag für die Beschaffung von Artillerie-Munition deutlich aufstocken auf ein Gesamtvolumen von bis zu 15 Milliarden Euro. Das Finanzministerium übermittelte dem Haushaltsausschuss des Bundestages eine entsprechende Vorlage, wie Reuters am Dienstag von einem Insider erfuhr.
Demnach soll über einen Änderungsvertrag die Gesamtbestellmenge um zwei Millionen Schuss auf 2,35 Millionen Schuss 155-Millimeter-Munition etwa für die Panzerhaubitze 2000 erhöht werden. Über die Vorlage für den Rahmenvertrag mit den Firmen Diehl Defence und Nammo Raufoss hatte zuerst „Der Spiegel“ berichtet.
Zunächst soll dem Insider zufolge eine erste Teillieferung von 200.000 Geschossen aus inländischer Fertigung im Wert von gut 1,3 Milliarden Euro für die Jahre 2024 bis 2031 bestellt werden. Der Ausschuss solle am 3. Juli entscheiden.
FDP-Haushaltspolitiker Karsten Klein sagte Reuters, Munition sei die entscheidende Größe für die Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr und wichtiger Bestandteil der Abschreckung. Deshalb seien die Mittel im Haushalt deutlich erhöht worden. ‚Grundsätzlich unterstütze ich die Bestrebungen, diesen Weg fortzusetzen‘, sagte Klein. ‚Die jetzt vorliegende Vorlage werden wir wohlwollend mit der gebotenen Sorgfalt prüfen.‘ „
Ich habe mal nachgerechnet, mit Blick auf meine oben geschätzten Kosten für eine Granate.
1 300 000 000 Euro : 200 000 Granaten = 6500 Euro pro Granate
15 000 000 000 Euro : 2 350 000 Granaten = 6383 (gerundet bei letzter Stelle)
Da scheinen relativ konstante Preise hinterzustehen, denn die 6500 für die Erstlieferung unterscheiden sich ja relativ wenig von den 6383 für die Stückkosten der Gesamtbestellmenge.
Aber:
Ich bzw. der Stern scheinen in der ersten Fassung dieses Artikels oben zu hoch gegriffen zu haben; oder die Kosten für die jetzige Pistorius-Bestellung sind in dem „Rahmenvertrag“ (???) extra niedrig veranschlagt, um die Akzeptanz zu erhöhen; oder man hält sich an die vereinbarten Kosten, liefert aber dann weniger. Beide Varianten kennen wir aus fast allen Waffenaufträgen.
Welcher Bedarf ergibt sich aus dem bisherigen Ukraine-Krieg
In einem Interview für „Tagesschau“ nennt ein „Experte“ 5 000 bis 6 000 Granaten/Tag, damit die UA wieder in die Offensive kommen kann. Das beinhaltet nicht die Menge, die bisher für die Verteidigung gebraucht wurde. Diese Menge nennt der „Experte“ nicht. (https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-munition-mangel-suche-100.html)
Autor dieses Artikels ist:
G. Jankowiak
Sodinger Str. 60
44623 Herne