Bertha von Suttner: Die ungleiche Kräfteverteilung von Krieg und Friede


(21. April 2022)

Statt einer Einführung: Bertha von Suttner hatte ich auf der ersten Seite des Blogs in Grundzügen beschrieben. Hier aber sollen zwei Auszüge sie selbst zu Worte kommen lassen. ad fontes, d.h. zurück zu den Quellen,  sozusagen.

Aktualisierung: v. Suttners Aufzählung der totalen Übermacht der Medien zur Förderung des Krieges ruft bei mir folgende Assoziationen für heute auf.

Wenn ich in eine Bahnhofsbuchhandlung gehe, sehe ich dort ganze Wände voller Zeitschriften über Militäroperationen, angeblich große Feld-Herren, „tolle“ Militärtechnik. Zum Teil sind dort sogar Bücher ausgestellt, aber meist  von Verlagen, die die „Werke“ von Populärschriftstellern verlegen, die irgendeinen Ausschnitt eines möglichst blutigen Abschnittes der letzten Weltkriege verabsolutieren. Dann weiter im Fernsehprogramm, wo bestimmte Privatsender die größten Flugzeugträger (usw.) bestaunen, also verherrlichen; ganz abgesehen von den Western-Filmen oder US-Krimis, in denen mindestens irgendein Gegenstand explosiv in die Luft gejagt wird oder von Kugeln aus Automatikwaffen durchsiebt wird. Oder, noch schlimmer: Beiträge auf Youtube, oft mit kiryllischen Buchstaben, wo putzige Kinderpanzer – entweder mit so einem Eisernen Kreuz oder mit einem roten Stern – sich gegenseitig gemütlich in die Luft jagen. All das spricht die niederen Jagd- und Zerstörungsinstinkte des Menschen an; die Ratio, also die Vernunft, also das, was uns eigentlich von triebgesteuerten Lebewesen unterscheiden sollte, kann mit diesen aufgepeitschten Urzeitinstinkten nicht mithalten.

Aber jetzt Bertha v. Suttner zwei Mal im  Original:

„Wir haben uns damals ein eigenes Büchelchen angelegt – wir nannten es „Friedenspolitik“ – in welches sämtliche, auf diesen Gegenstand bezügliche Urkunden, Notizen, Artikel usw. abschriftlich eingetragen wurden.
Auch die Geschichte der Friedensidee, soweit wir von derselben Kenntnis erlangten, haben wir dazu Protokoll gebracht. Daneben die Aussprüche verschiedener Philosophen, Dichter, Juristen und
Schriftsteller über „Krieg und Frieden“. Es war bald zu einem stattlichen Bändchen
herangewachsen und im Laufe der Zeit – ich habe diese Buchführung bis auf den heutigen Tag fortgesetzt – sind sogar mehrere Bändchen daraus geworden. Wenn man das mit den Bibliotheken vergleicht, die mit Werken strategischen Inhalts gefüllt sind, mit den ungezählten Tausenden von Bänden, welche Kriegsgeschichte, Kriegsstudium und Kriegsverherrlichung enthalten, mit den
militärwissenschaftlichen und militärtechnischen Lehrbüchern und Leitfäden über
Rekrutenabrichtung und Ballistik, mit den Schlachtenchroniken und Generalstabsberichten,Soldatenliedern und Kriegsgesängen: ja, dann freilich könnte einen der Vergleich mit den paar Heftchen Friedensliteratur kleinmütig machen – vorausgesetzt, daß man die Kraft und den Gehalt –
namentlich den Zukunftsgehalt – eines Dinges nach dessen Ausdehnung bemessen wollte. Wenn man aber bedenkt, daß eine Samenkapsel in sich die virtuelle Möglichkeit birgt, einen Wald entstehen zu machen, der ganze, über weite Felder ausgedehnte Unkrautmassen verdrängen wird; –
und ferner bedenkt, daß die Idee im Reiche des Geistes dasselbe ist, was das Samenkorn im Reiche der Pflanzen – dann braucht man um die Zukunft einer Idee nicht besorgt zu sein, weil sich bisher die Geschichte ihrer Entfaltung in einem kleinen Heftchen aufzeichnen läss

 (S. 194 der Internet-Ausgabe von www.literaturdownload.at)

„Überhaupt, die Geschichte! die ist, so wie sie der Jugend gelehrt wird, die Hauptquelle der
Kriegsbewunderung. Da prägt sich schon dem Kindersinne ein, daß der Herr der Heerscharen
unaufhörlich Schlachten anordnet; daß diese sozusagen das Vehikel sind, auf welchem die
Völkergeschicke durch die Zeiten fortrollen; daß sie die Erfüllung eines unausweichlichen
Naturgesetzes sind und von Zeit zu Zeit immer kommen müssen, wie Meeresstürme und Erdbeben;
daß wohl Schrecken und Greuel damit verbunden sind, letztere aber voll aufgewogen werden: für
die Gesamtheit durch die Wichtigkeit der Resultate, für den einzelnen durch den dabei zu
erreichenden Ruhmesglanz, oder doch durch das Bewußtsein der erhabensten Pflichterfüllung. Gibt
es denn einen schöneren Tod, als den auf dem Felde der Ehre – eine edlere Unsterblichkeit, als die
des Helden? Das alles geht klar und einhellig aus allen Lehr- und Lesebüchern „für den
Schulgebrauch“ hervor, wo nebst der eigentlichen Geschichte, die nur als eine lange Kette von
Kriegsereignissen dargestellt wird, auch die verschiedenen Erzählungen und Gedichte immer nur
von heldenmütigen Waffentaten zu berichten wissen. Das gehört so zum patriotischen
Erziehungssystem. Da aus jedem Schüler ein Vaterlandsverteidiger herangebildet werden soll, so
muß doch schon des Kindes Begeisterung für diese seine erste Bürgerpflicht geweckt werden; man muß seinen Geist abhärten gegen den natürlichen Abscheu, den die Schrecken des Krieges
hervorrufen könnten, indem man von den furchtbarsten Blutbädern und Metzeleien, wie von etwas
ganz Gewöhnlichem, Notwendigem, so unbefangen als möglich erzählt, dabei nur allein Nachdruck
auf die ideale Seite dieses alten Völkerbrauches legend – und auf diese Art gelingt es, ein
kampfmutiges und kriegslustiges Geschlecht zu bilden.
Die Mädchen – welche zwar nicht ins Feld ziehen sollen – werden aus denselben Büchern
unterrichtet, die auf die Soldatenzüchtung der Knaben angelegt sind, und so entsteht bei der
weiblichen Jugend dieselbe Auffassung, die sich in Neid, nicht mittun zu dürfen, und in
Bewunderung für den Militärstand auflöst. Was uns zarten Jungfräulein, die wir doch in allem übrigen zu Sanftmut und Milde ermahnt werden, für Schauderbilder aus allen Schlachten der Erde,
von den biblischen und makedonischen und punischen bis zu den dreißigjährigen und
napoleonischen Kriegen vorgeführt werden, wie wir da die Städte brennen und die Einwohner „über
die Klinge springen“ und die Besiegten schinden sehen – das ist ein wahres Vergnügen. … Natürlich
wird durch diese Aufhäufung und Wiederholung der Greuel das Verständnis, daß es Greuel sind,
abgestumpft; alles, was in die Rubrik Krieg gehört, wird nicht mehr vom Standpunkte der
Menschlichkeit betrachtet – und erhält eine ganz besondere, mystisch-historisch-politische Weihe.
Es muß sein – es ist die Quelle der höchsten Würden und Ehren – das sehen die Mädchen ganz gut
ein: haben sie doch die kriegsverherrlichenden Gedichte und Tiraden auch auswendig lernenmüssen. Und so entstehen die spartanischen Mütter und die „Fahnenmütter“ und die zahlreichen,
dem Offizierkorps gespendeten Kotillonorden während der „Damenwahl“.“

(S. 3 der Internetausgabe von www.literaturdownload.at)

Fazit:

Weder v. Suttner noch ich würden meinen, dass man die destruktive Seite im Menschen mit einer Soße von Gutmenschentum bedecken sollte, weil diese dunkle Seite ja doch schlummert. Aber die Gedanken, Werke und Taten derer, die eine ganz andere Seite des Menschen zeigen, sollten mindestens gleichberechtigt und: gleich attraktiv neben den Beispielen des Krieges und – besonders – der Kriegsverherrlichung gestellt sein.

Noch zur Kriegsverherrlichung: Wenn es einem Werk gelingt, den Krieg realistisch darzustellen, ohne in den Blutrausch des Untergangs der Nibelungen (oder von Stalingrad oder Verdun) zu verfallen, so würde ich dieses Werk über „den Krieg“ für einen Beitrag zur Erreichung und Führung des Friedens halten.

Gleiches gilt natürlich auch von Clausewitz‘ „Vom Kriege“.


Autor dieses Artikels ist:

G. Jankowiak

Sodinger Str. 60

44623 Herne