Ja, heutige Soldaten sind zum großen Teil Höhlenmenschen, wenn sie im Krieg sind oder sich auf einen solchen vorbereiten. Sie sind damit regressiv, wenn man ihr Leben mit der Entwicklung der Menschheit vergleicht: sie entwickeln sich zurück, denn in der Menschheitsgeschichte ist es ja wohl eher der Mensch der frühen Steinzeit, der in Höhlen lebt. Vielleicht nehmen die Soldaten ja vorweg, wie die Überlebenden „leben“ werden, wenn die Soldaten in (baldiger?) Zukunft alle Waffen anwenden sollten, die in ihren Tief-Bunkern liegen.
Welch eine seltsame Entwicklung ist dies: Von den antiken Zweikämpfen bei Homer, den ersten taktischen Formationen der Griechen und Römer, über die Ritter des Mittelalters bis zu den aus vielen Medien bekannten Aufstellungen der sogenannten Lineartaktik des 18. Jahrhunderts: Immer ist der Kämpfer oder Soldat in stehender Haltung.

Ein Teil der Attraktivität des Soldatentums in dieser Zeit kommt sogar aus dem Idealbild des Soldaten, der in bunter Uniform unter wehenden Bannern auf dem „Felde“ stehend oder kniend oder reitend den Kampf erwartet oder führt. (Für unterirdische Drecks-Arbeiten, etwa bei Belagerungen, verwendet man möglichst Handwerker, Bauern oder Bergleute. Selbst das überirdische Schanzen hätte ein echter Landsknecht um 1550 n.Chr. noch als würdelos abgelehnt.)

Industriell hergestellte Tötungswaffen revolutionieren alles
Die radikale Änderung an diesem Jahrtausende alten Bild entstand durch die immer wirksamer werdenden Feuer-Waffen. Am Anfang dieser Entwicklung wird der umständliche Vorderlader vom Hinterlader abgelöst, und zwar bei den Handfeuerwaffen und den Geschützen, dadurch erhöht sich die Schusszahl und auch die Treffsicherheit. Dann in den 80ger Jahren des 19. Jahrhunderts kommt das rauchschwache Pulver, durch das man den Gegner viel früher sehen und anvisieren kann als zur Zeit des Schwarzpulvers. Etwa zur selben Zeit bei den Geschützen: Rohrrücklauf und die Sprenggranate – vorher mussten die Geschütze ja nach jedem Schuss neu anvisiert werden, jetzt jagen sie ohne diese Neueinstellung Schuss auf Schuss auf den Gegner, mit ganz erheblicher Splitterwirkung. Schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine weitere Steigerung durch das Maschinengewehr. Und schließlich fronttaugliche Flugzeuge: der Soldat wird jetzt aus einer neuen Dimension gesichtet und anvisiert – noch allerdings sind die Flugzeuge noch nicht dauernd in der Luft; zum Beispiel sind tief hängende Wolken eine „Wohltat“ für den erdgebundenen Soldaten.

Die Neuverfilmung von „Im Westen nichts Neues“ hat ja wohl auch vielen Jugendlichen die Wirkung der Gesamtheit all dieser Neuerungen vor Augen geführt: Wenn der Soldat nicht gerade – meist ohne Erfolg – angreifen muss, verkriecht er sich in immer komplizierter ausgeführten Grabensystemen. Dort lebt er unter unter der Erde, geplagt von Wasser, Schlamm, Ratten, Ungeziefer: ein Höhlenmensch. Für den Soldaten auf taktischer Ebene bestimmende Faktoren sind: Das „Feuer“ der Waffen und die Versuche inmitten dieses Feuers „Bewegung“ zu bewerkstelligen, also etwa zum Angriff. Der Faktor „Feuer“ hatte im 1. Weltkrieg über den Faktor „Bewegung“ gesiegt.
Der zweite Weltkrieg scheint zunächst das Gegenteil zu beweisen: Man hört von „Blitzkrieg“, sieht fahrende Kolonnen, erfährt von in Wochen zusammenbrechenden Nationen. Aber das Bild trügt: Nachdem dann die Gegner Nazi-Deutschlands alle Innovationen der Wehrmacht durch eigene Innovationen ausgeglichen hatten, folgen an allen Fronten lange Phasen des Abnutzungs-Krieges, wie wir ihn heute als Hauptform im Ukraine-Krieg sehen. Auch dort obsiegte lange das „Feuer“ über die „Bewegung“.
Die vorerst letzte Regressions-Stufe des Soldaten unter den Bedingungen des „Feuers“ hat Oberst Reisner vom österreichischen Generalstab Anfang Oktober auf einer Tagung der Österreichischen Diplomatischen Gesellschaft beschrieben (https://www.youtube.com/watch?v=e_u_JKgl35E&t=5622s). Er informierte: Wie im Ersten Weltkrieg in den beengten Verhältnissen der Westfront jede Bewegung erstarb im Feuer der Maschinengewehre und dem Splitterregen der Geschütze mit Rohrrücklauf und wie sie gestoppt wurde im Stacheldraht, so erstirbt heute jede größere Offensive und schon ihre Vorbereitung durch Drohnen.
Diese billigen, z.T im 3D-Drucker selbst herzustellenden Mini-Flugkörper schwirren in fast unbegrenzter Zahl über beiden Seiten der Front, sie klären fast jede Bewegung auf, melden Zielkoordinaten und übergeben oft einfach an weitere Drohnen, die die entsprechende Bewaffnung mit sich führen. Mittlerweile gibt es sogar Flammenwerfer-Drohnen.
Oberst Reisner entwarf folgendes Bild: Während im 1. Weltkrieg der angreifende Soldat trotz MG, Splitterregen und Stacheldraht noch Deckung suchen konnte in Granattrichtern, wird sein heutiges Ebenbild auch im Granattrichter von Drohnen erspäht, die ihn dann gleich auch mit einer Art Handgranate zerfetzen, während „2 Meter weiter“ eine weitere Drohne das Geschehen filmt und überall hin überträgt.
Ich meine: Der heutige Soldat in einem symmetrischen Krieg wie dem in der Ukraine wird durch die Waffenentwicklung zum Dasein als Höhlenmenschen gezwungen, und zwar in weitaus größerem Maße als je zuvor in der Geschichte.
Bei den asymmetrischen Kriegen wie z.B. Vietnam, Afghanistan, Irak usw. sind nur diejenigen zum Dasein als Höhlenmenschen verdammt, die ohne die Beherrschung des Luftraumes kämpfen, meist auch ohne schwere und weitreichende Waffen.
Auf deren Gegenseite gibt es allerdings auch Höhlenmenschen! Es sind diejenigen, die die Luft-Waffen der „High-Tech“-Seite auf die gering Bewaffneten lenken, es sind die Bewohner der Bunker an den „Joy-Sticks“. Diese Spezies hat für uns der Wikileaks-Gründer Assange vorstellbar gemacht: Sie sitzen bei einem Drink, vielleicht auch einer Portion Fast-Food, in einem „Gaming“-Sessel. Ein Flugkörper sendet Bilder des Ziels, welches nach sehr kurzem „Gegencheck“ dann angegriffen wird. Hierzu drücken die Joy-Stick-Leute dann aus dem Sessel auf den Auslöse-Knopf für ihre Waffen. Neueste Entwicklung: Eine KI wählt durch Algorithmen Ziele aus und entscheidet nach den zuvor noch vom Menschen angestoßenen Metadaten über das Schicksal des Ziels. So sollen viele Opfer im jetzigen Krieg Israels „ausgewählt“ worden sein.
Fazit für die Friedensführung:
Am liebsten möchte ich die Soldaten aller Länder auffordern doch gemeinsam wieder zu den Verhältnissen vor der industriellen Tötung zurückzukehren, also zum aufrecht stehenden Kämpfer, wie ich es oben beschrieben habe.
Natürlich weiß ich, dass auch die damalige Kriegführung brutal war – aber man starb wenigstens unter „freiem Himmel“ und zumeist inmitten der Kameraden. Natürlich weiß ich auch, dass eine Rückentwicklung nicht der menschlichen Natur und den Verhältnissen entspricht, die die Menschen treiben.

Aber die Soldaten aller Länder sollten dort, wo sie kommunizieren, darüber befinden, ob es nicht aus der jetzigen Situation einer Umkehr bedarf, Umkehr vom Weg der Regression hin zum gehetzten Höhlenmenschen und dem Töten durch Automaten. Der erste Schritt dahin ist die Verständigung untereinander über das gewünschte und das verabscheute Berufsbild; der nächste Schritt wäre die Beratung der Politiker über alle Alternativen zum Höhlenmenschen.
Und für uns Nicht-Militärs sollte klar sein: Der Soldat als Höhlenmenschen geht uns Zivilisten im Atomzeitalter immer nur einen kleinen Schritt voraus.
Nachweise für die oben gezeigten Bilder:
Bild 1: Waterloo 1815. Angriff von Kavallerie auf ein Karrée der Infanterie. aus: C. Falls, Große Landschlachten. Frankfurt/Main nach 1964, S. 148.
Bild 2: Marschall Villars 1712 bei Denain. aus: C. Schaeffner (Hrsg.) Weltgeschichte in Bildern, Bd. 13. Lausanne 1969, S.71.
Bild 3: Schematische Darstellung eines Grabensystems des 1. Weltkrieges. aus: Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen. Leipzig 1940, S. 76
Bild 4: Waterloo 1815. Letzter Stand der Garde Napoleons. aus: C. Falls, Große Landschlachten. Frankfurt/Main, nach 1964, S. 149.