Der hier weiter unten beiliegende Text stammt von einem pensionierten Bundeswehr-General, Generalmajor Jürgen Reichardt. Reichardt war zur Zeit der Raketendebatte/Friedensbewegung 1983 Pressesprecher von Minister Wörner und leitete von 1994 bis zur Pensionierung das Heeresamt in Köln, die höhere Kommandobehörde zur Weiterentwicklung des Heeres.
Reichardt ist also ausgewiesener Fachmann.
Politisch würde ich ihn als Konservativen einschätzen, er ist u.a. Mitglied der CSU und Ehrenvorsitzender des Bayerischen Soldatenbundes.
Bemerkenswert an dem Zeitungsartikel scheint mir folgendes:
- Er charakterisiert die Regierungsmitteilung über die Stationierung von US-Waffen als „unbestimmt(er)“, denn in den Regierungs-Gesprächen wurden doch wohl genaue Festlegungen getroffen, oder?
- Er wundert sich, dass ein solcher Schritt noch vor der US-Wahl erfolgte. Mein Zusatz: Ein Präsident Trump bekäme hier eigene Waffen auf deutschem Boden quasi serviert!
- Er beurteilt die Einteilung in „zeitweilige“ und „dauerhafte“ Waffen als „eigenartige Abfolge“
- Er sieht in der Stationierung einen Unterschied zur bisherigen „nuklearen Abschreckung“
- Er sieht in der Stationierung solcher Waffen in Deutschland eine Gefahr für Deutschland.
Denn:
Nach der Raketenkrise 1983 mit der Gefahr von „Enthauptungs“-Schlägen habe es eine „vernünftige Folge“ von Verhandlungen und Rüstungskontrollabkommen gegeben; Reichardt erwähnt unter diesen den INF-Vertrag und besonders den ABM-Vertrag. Diese Abkommen wurden beide gekündigt – Reichardt verkneift es sich wohl darauf hinzuweisen, dass beide von den USA gekündigt wurden. Die jetzige Stationierung in Deutschland und die Stationierung von ABM-Systemen in Polen und Rumänien entwertet faktisch die „vernünftigen“ Beweggründe, die zu diesen beiden Abkommen geführt hatten.
Ohne diese Beschränkungen dürfte – auch durch den oben genannten Stationierungsbeschluss – ein Wettrüsten auch hier beginnen mit der Gefahr, dass der Gegner die Möglichkeit eines „Enthauptungsschlages“ wachsen sieht und präventiv re-agiert. In solch einem Szenario wären dann die Enthauptungs-Waffen auf deutschem Boden primäre Ziele, Magnete sozusagen – und der „deutsche Boden“ ist dicht besiedelt wie sonst wohl kaum ein europäisches Land, durchsetzt mit gefährlichen Industrien.
Noch zwei Zusätze meinerseits zur Argumentation Gen. Reichardts:
Der Regierungsbeschluss zur Stationierung ist m.E. ein Bruch mit „bewährten“ Nato-Gepflogenheiten: Bisher wurden die atomaren Waffen immer in mehreren Ländern stationiert (s. Nukleare Teilhabe) – die jetzige Stationierung in nur einem Land widerspricht diesem im Vergleich gesunden Grundgedanken.
Gen. Reichardt hatte ja geschrieben: „Damit (mit dem ABM-Vertrag) sollte die Fähigkeit zum Gegenschlag gesichert werden.“ Vor kurzem hat diese Bundesregierung begonnen eine Abwehr auch gegen ballistische Raketen aufzubauen, indem sie – ohne Beschluss des Bundestages – von Israel dessen Arrow III-Rakete kauft. Dies muss man im Zusammenhang mit dem schon begonnenen ABM-Schirm der USA in Rumänien und Polen sehen, den ja auch Gen. Reichardt erwähnt.
Nun aber der angekündigte Artikel, der am 19.7. im Straubinger Tagblatt an prominenter Stelle erschien, großflächig eingeleitet vom Herausgeber dieser Zeitung, Prof. Balle.
„Deutschland als Kriegsschauplatz?
Ein Gastbeitrag von Jürgen Reichardt,
Generalmajor a. D.
Die „Gemeinsame Erklärung der Regierungen der USA und Deutschlands zur Stationierung weitreichender Waffensysteme in Deutschland“ auf dem Nato-Gipfel in der vergangenen Woche war so überraschend wie allgemein: Die USA werden in zwei Jahren beginnen, „weitreichende Waffensysteme“ in Deutschland zu stationieren. Zeitlich begrenzt, weil die dann verfügbaren Systeme später von anderen, teilweise noch in Entwicklung befindlichen Systemen abgelöst werden sollen, unabhängig von der Entwicklung der Verhältnisse. Diese späteren Waffen, in der Erklärung als „konventionell“ bezeichnet, was bedeutet: nicht-atomar, sollen über deutlich größere Reichweiten verfügen als die derzeitigen landgestützten Systeme in Europa. Sie sollen dauerhaft in Deutschland bleiben.
Unbestimmter kann eine solche Mitteilung kaum sein. Man kann davon ausgehen – alles andere wäre verwunderlich –, dass in den Vorbereitungen auch über Stückzahlen, Zulaufsequenz und Stationierungsorte gesprochen wurde. Dennoch bleibt rätselhaft, warum die Ankündigung noch vor der US-Wahl erfolgte, warum so eigenartige Abfolgen von „zeitweilig“ und „dauerhaft“ jetzt angekündigt werden, das aber als Teil einer bereits bestehen den Planung. Begründet wird die geplante Stationierung mit der Verpflichtung der USA gegenüber der Nato sowie als Beitrag „zur integrierten europäischen Abschreckung“. Das ist neu. Denn weitreichende Flugkörper im Mittelstreckenbereich wie die genannten Marschflugkörper waren bisher stets Teil der nuklearen Abschreckung.
Während des im Ost-West-Konflikt fast außer Kontrolle geratenen Wettrüstens war die Gefahr eines „Enthauptungsschlages“, mit dem die wesentlichen Mittel der Gegenseite zur atomaren Kriegführung ausgeschaltet werden könnten, ehe ein „heißer“ Krieg ausbräche, zum größten aller Risiken geworden.
Die vernünftige Folge waren Verhandlungen und Abkommen zur Abschaffung aller nuklearfähigen Mittelstreckenwaffen in Europa (INF-Vertrag). Noch wichtiger war das Abkommen zur Abschaffung der Abwehrsysteme gegen strategische Interkontinental-Waffen, der ABM-Vertrag (Anti Ballistic Missiles). Damit sollte die Fähigkeit zum Gegenschlag gesichert werden, als Teil der strategischen Abschreckung. Der INF-Vertrag wurde 2018 nicht verlängert, die USA sind dabei, in Polen und Rumänien Raketenabwehrsysteme zu etablieren –„gegen iranische Bedrohung“.
Nun also sollen wieder amerikanische Mittelstreckenwaffen in Europa stationiert werden, auf deutschem Boden. Auch bei großer Reichweite müsste ihre Zahl außerordentlich hoch sein, wenn die konventionellen Sprengköpfe eine strategische Wirkung erzielen sollen. Das erlaubt den Verdacht, dass später durchaus auch „Dual Use“- Absichten ins Spiel kommen könnten, also eine alternative nukleare Fähigkeit. Der andere Zweck, ähnlich wie beim Doppelbeschluss von 1979, das Potenzial für ein Angebot zur gegenseitigen Reduzierung aufzubauen, ist bei konventionellen Waffen wenig überzeugend. Dafür kommt nur eine allgemeine Reduzierung aller konventionellen Potenziale infrage. Insofern herrscht Unklarheit über die Gründe für den Stationierungsbeschluss.
Sie könnten zwar auch ganz harmlos darin bestehen, dass der neu geschaffenen „Multi-Domain Task Force“ des US-Heeres konkrete Aufgaben zugewiesen werden sollen. Für die USA wäre das nicht ungewöhnlich. Im deutschen Interesse liegt es aber, die Erfahrung zu berücksichtigen, dass strategisch bedeutsame Waffen feindliches Feuer auf sich ziehen. Es sei daran erinnert: In der sowjetischen Planung für den Ausbruch eines Krieges in Europa bildeten Kernwaffenschläge auf wichtige strategische Ziele in Deutschland die allerersten Maßnahmen. Je weiter sich das Bündnis von den bewährten Rüstungskontrollabkommen entfernt, desto näher rückt die Gefahr präventiver Enthauptungsschläge im Spannungsfall. Betroffen wäre der Kriegsschauplatz Deutschland.“ (Hervorhebungen im Fettdruck von mir, G.J.)
G. Jankowiak
Sodinger Str. 60
44623 Herne