Der Anspruch auf Sicherheit bei Großmächten – Ein Gedankenspiel anhand des Beispiels USA (30-3-24)


Der Vollständigkeit halber muss ich vor dem Beispiel kurz darauf hinweisen, dass es im Völkerrecht meines Wissens drei Grundprinzipien gibt:

das Selbstbestimmungsrecht der Völker

die Unverletzlichkeit der Grenzen

den Anspruch auf Sicherheit.

Mindestens die ersten beiden Prinzipien wirken oft gegensätzlich.

Nun zu dem Beispiel mit der Sicherheit! Wir nehmen mal folgende Entwicklung an:

Im Jahre 2040 ist China weiter wirtschaftlich und militärisch aufgestiegen, die USA stagnierten mit leichtem Rückgang in den beiden Bereichen. Im Rest des amerikanischen Kontinents, außer Brasilien, jedoch herrschen weiter Hunger und Elend – stärker noch als Anno 2024.

Da kommt dem von Unruhen bedrängten Präsidenten Mexikos ein Angebot Chinas gerade recht: Bündnis mit China, Wirtschaftshilfe Chinas mit dem Ziel einer Wirtschaftsunion, Waffenlieferungen.

Lange wird in allen beteiligten Staaten über die Implikationen des Angebots diskutiert, soweit Diskussion möglich ist. Besonders in den USA überwiegen die Sorgen vor einer fremden Macht auf dem eigenen Kontinent. Der US-Präsident befiehlt vorsorglich Truppenkonzentrationen entlang der mexikanischen Grenze. Man erinnert sich an einige US-Traditionen1 im Umgang mit dem „Hinterhof“.

In Mexiko wird viel erinnert an die im Krieg gegen Mexiko vor fast 200 Jahren gewaltsam durch die USA annektierten mexikanischen Provinzen. Die Mexikaner weisen darauf hin, dass sogar noch im Jahre 2040 die Namen zum Teil Zeugnis ablegen vom ehemals mexikanischen Besitz: Nevada, Arizona, Utah, Kalifornien, Mexiko und Wyoming, sowie Teile von Colorado, insgesamt 1,36 Mio Quadratkilometer2.

In den USA befürchtet man vor diesem Hintergrund mexikanische Revanchgelüste, gefördert durch China!

Besonders Fox-News bringt immer großformatig das Jahr 1916: Damals wird in den USA schon lange über ein Eingreifen in den 1. Weltkrieg diskutiert, wobei diejenigen US-Bürger, die sich da heraushalten wollen, die Oberhand haben. Der Isolationismus eben. In diese Stimmung platzt die Meldung herein, dass die deutsche Reichsregierung Mexiko zum Kriegseintritt gegen die USA ermuntert hat3: großzügige deutsche Waffenlieferungen; Hilfe bei der Rückgewinnung von New Mexiko, Texas, Arizona … . Dies zusammen mit der Versenkung der Lusitania bringt die Meinung zum Kippen und die USA treten gegen Deutschland in den Krieg ein, weil sie ihre Sicherheit fundamental bedroht fühlen.

Die Medien der Partei der Demokraten gehen noch weiter: Sie erinnern daran, dass im 2. Weltkrieg der britische Geheimdienstler William Henderson eine Karte Lateinamerikas gefälscht hatte; die Fälschung stellte Überlegungen der Nazi-Führung dar, Lateinamerika nach Nazi-Vorstellungen umzubauen – natürlich mit dem Hintergedanken Lateinamerika später als Basis gegen die USA zu benutzen. Dies tat Henderson, weil es momentan – wie im 1. Weltkrieg – eine Mehrheit gegen einen Kriegseintritt der USA gegen Nazi-Deutschland gab. Die Fälschung Hendersons tat ihre Wirkung: mit Pearl Harbour als Anlass kippt die öffentliche Meinung und die USA treten, neben dem Krieg mit Japan, auch in den Krieg mit Nazi-Deutschland ein.4 Denn: Die USA fühlen ihre Sicherheit fundamental bedroht, selbst wenn dieses Gefühl nur durch eine Fälschung ausgelöst wurde.

Fast alle US-Amerikaner können sich wegen diverser Hollywood-Filme noch erinnern: Ab 1960 entschließt sich ein souveräner Staat, Cuba, ein Bündnis mit der den USA feindlich gesinnten Sowjetunion einzugehen und deren Atomraketen dort zu stationieren – so, wie die USA seit langem Atomraketen in der Türkei, die an die Sowjetunion grenzt, stationiert hatten. Der US-Präsident, der schon zuvor Cuba mit Söldnern angegriffen hatte (Stichwort: Schweinebucht) , erlässt nun eine Blockade Cubas; viele seiner Militärs raten wegen der Sicherheit nun zu Angriffen auf die Waffenlieferungen; bei der Blockade gibt es erste Zwischenfälle, als sich sowjetische Schiffe der Blockadelinie nähern. Leicht hätte es zur bewaffneten Konfrontation und einem Atomkrieg zwischen Sowjetunion und USA kommen können.

Jetzt zurück zum Jahr 2040:

Keine 24 Stunden, nachdem Mexiko das oben genannte, extra großzügig gestaltete Angebot Chinas annimmt, beginnt der Einmarsch von US-Truppen nach Mexiko, gepaart mit gezielten Bombardements auf alle staatlichen Institutionen Mexikos: Das Land soll in Wochenfrist regierungs- und wehrlos gemacht werden, eine den USA gefügige Regierung soll installiert werden. (Bei besonders tiefen Bunkern in Mexiko sollen sogar deutsche „Taurus 5.0“ zum Einsatz kommen, so die Gerüchte.) Und dabei haben die USA doch nur diese eine südliche Grenze, die verwundbar sein könnte.

Wen wundert es da, dass andere Großmächte ähnlich „sensibel“ reagieren … Denn: Großmacht ist man nur dann, wenn man aus sich selbst heraus seine Position behaupten kann. Zu diesem Zweck darf keine andere Großmacht an den eigenen Grenzen bedrohliche Dinge stationieren.

1Der Lesbarkeit halber lasse ich die Monroe-Doktrin weg

2 (Namen und Zahl lt. Wikipedia; Deutschland in den heutigen Grenzen umfasst knapp 360 000 Quadratkilometer)

3Gemeint ist das sogenannte Zimmermann-Telegramm des deutschen Außenministers an den dt. Botschafter in Mexiko, das von den Briten abgefangen wurde.

4Den eigentlichen Kriegseintritt auch gegen Deutschland verursachte die selbstmörderische Kriegserklärung Hitlers gegen die USA.


Autor dieses Artikels ist:

G. Jankowiak

Sodinger Str. 60

44623 Herne