Sie werden stöhnen: Wer ist Kimon? Was bedeutet jetzt noch mal Unilateralismus?
Zuerst zum Unilateralismus:
Es ist ein politisches Konzept, nach dem eine einzige Macht ein-seitig (uni-lateral) die Kontrolle über alle anderen Mächte der Welt ausübt bzw. nicht deren Vorstellungen bei eigenen Entscheidungen berücksichtigt. Man könnte die Zeit seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion bis zum (Wieder-)Erstarken der Schwellenländer (BRICS) als Epoche des Unilateralismus der USA bezeichnen.
Dann: Wer ist Kimon? Kimon war ein athenischer Politiker aus der Mitte des 5. Jahrhunderts. Er war der Sohn des Miltiades, den einige von Ihnen sicher als der Oberkommandierende der Griechen in der Schlacht von Plataiai gegen die Perser kennen. Sie sehen also, dass wir es bei Kimon mit jemandem aus einer hochangesehenen und politisch engagierten Familie zu tun haben.
Dieser Kimon nun bestimmte die Politik Athens – wie gesagt – um die Mitte des 5. Jahrhunderts, als Athen sich zum Herrscher des Seebundes aufschwang; daneben gab es noch den Peloponnesischen Bund unter der Führung Spartas. Später wurde die Politik Athens von Perikles bestimmt, der es dann auch in den selbst-zerstörerischen „Peloponnesischen Krieg“ führte.
Man könnte also aktualisierend formulieren, dass Griechenland zu der genannten Zeit ein bipolares System hatte: 2 Blöcke jeweils unter einer Führungsmacht. Strukturell könnte das an die Welt bis 1989 erinnern, einfache Vergleichbarkeit verbietet sich jedoch.
‚Ja, und was hat nun dieser Kimon in dieser Situation mit dem Unilateralismus zu tun?‘, so werden Sie fragen?
Im Jahre 464 v.Chr. geriet die Führungsmacht des Peloponnesischen Bundes, Sparta, in eine existenzbedrohende Krise: Ein Erdbeben, dessen tektonische Spuren man heute noch sieht, verursachte große Menschenverluste unter den Spartanern. Dies war für die Messenier, die unter den Spartanern schwer gelitten hatten, das Signal zum Aufstand. – Sparta konnte des Aufstandes nicht Herr werden.
Jetzt kommt das erste Erstaunliche – für uns heute:
Sparta bittet die Führungsmacht des konkurrierenden „Blocks“, Athen, um militärische Hilfe!!! Welch ein Vorgang! Man kann ihn vielleicht erklären, das würde hier aber zum Verständnis von Kimon und dem Unilateralismus nichts bringen.
In Athen entbrennt eine wirklich erbitterte Diskussion, die durch innenpolitische Parteiungen noch verschärft wird: eine eher aristokratische Partei unter Führung Kimons ist für Hilfeleistung an Sparta; eine eher demokratische Partei unter Führung eines gewissen Ephialtes, des Vorgängers von Perikles.
Kimon gewinnt die Diskussion, Athen schickt ein Hilfskorps.
Und jetzt das zweite Erstaunliche:
Kimon hatte argumentiert, dass Griechenland „lahmen“ würde und als Zweigespann ohne „Nebenross“ fahren würde, wenn Sparta durch den Aufstand der Messenier und das Erdbeben dauerhaft so geschwächt würde, dass es nicht mehr die Führung des konkurrierenden „Blocks“, des Peloponnesischen Bundes, leisten könne.
Ich hoffe, man versteht die Gleichnisse, mit deren Hilfe Kimon die Athener überredete: Griechenland würde durch 2 Mächte geführt. Fiele eine Macht aus, so würde es „lahmen“, es wäre vergleichbar mit einem Pferdegespann mit 2 Pferden, von denen eines nicht mehr mit der gleichen Kraft wie das andere ziehen könne. Es fehle ein „Zugpferd“, wie wir es wohl heute nennen würden. Kurz: Es würde ein störendes Ungleichgewicht entstehen.
Ich möchte als Voraussetzung von Kimons Gedanken ergänzen: Kimon sah wohl, dass Athen allein überfordert wäre ganz Griechenland zu steuern.
Und damit sind wir beim Unilateralismus der USA!
D. Trump, seine Argumentation und seinen Erfolg bei den Wählern kann man nur erklären auf dem Hintergrund einer Überforderung durch den Unilateralismus, also durch das Bestreben allein die Welt zu kontrollieren.
Und auch wenn die USA diesen „strain“ nicht so stark fühlen würden, so scheint mir das ganze Konzept des Unilateralismus undurchdacht, ja unmöglich zu sein. Denn es hätte als Voraussetzung, dass dieser Beherrscher der Welt, der Unilaterat(or), jeden Versuch von Aufstrebenden vereiteln könnte. Das Aufkommen von BRICS zeigt diese Unmöglichkeit. (Brics = Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika)
Eine weitere Voraussetzung wäre, dass der Unilaterator auch Konflikte ohne direkte Beteiligung der aufkommenden direkten Konkurrenten zu vertretbaren Kosten und Risiken gewinnen könnte. Das Beispiel der USA in Afghanistan, in Irak (und vielleicht auch gegen die Huthis) zeigt, dass auch diese Voraussetzung nicht vorliegt.
Fazit für die Friedensführung:
Es ist zu akzeptieren, dass die Welt wohl multi-lateral zu organisieren ist. Dabei ist zu akzeptieren, dass auch Länder, die nicht den eigenen Werten entsprechen, mit-organisieren dürfen. Solange man noch selbst kräftig ist, sollte man dafür sorgen, dass entsprechende Organisationen und Regeln geschaffen werden. Alternativ könnte man bestehende Organisationen wie die UNO und bestehende Regeln optimieren. Hierbei hilft es nichts, dauernd von sich aus als Erster Verträge zu kündigen – das muss man diplomatisch organisieren und zuvor genau bedenken!
Peter Scholl-Latour hatte mehrfach vor dem weiteren Erstarken des Islamismus in einem Gürtel rund um die Südgrenze Russlands gewarnt: er meinte all diese Staaten mit -istan als Endsilbe, auch Aserbaidjan. Das Schicksal der Armenier von Berg-Karabach zeigt, wohin es führt, wenn man eine für die Weltordnung wichtige Macht schwächt. Ich spreche von Russland, das ja – wohl wegen des Ukrainekrieges – als Schutzmacht der Armenier versagt hat.
P.S.
Das Ganze mit Kimon überliefert der antike Biograph Plutarch/Plutarchos in seiner Biographie Kimons am Ende des 16. Kapitels .