In den letzten Tagen erreichte mich die Schrift des Bundeswehr Obersten a.D. Wolfgang Richter über den Ukraine-Krieg. Diese hat den Umfang eines kleinen Büchleins, und ist qualitativ sehr gut: sie enthält eine Menge quellenmäßig gut belegter Fakten und sauber durchdachte Zusammenhänge, alles auf sehr sachlicher Basis.
Heute morgen erreichte mich dann noch ein Artikel aus „zdf.de“ vom 2.1. mit dem Titel: “Ukraine: Viele Leopard Panzer sind defekt“.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/58/Leopard_2A6_tank_-_IL%C3%9C_2012.jpg
Beides sind Beiträge, die mich an die interessengeleiteten Spekulationen von Markus Keupp denken ließen. Dessen Vorgehen und dessen Ergebnisse hatte ich hier in meinem Artikel: ‚Pseudo-Experte oder interessengeleiteter Medien-Benutzungsspezialist – Markus Keupp‘ vom 12.10.2023 beschrieben.
Wolfgang Richter unterscheidet sich in seiner Methode und seinen Ergebnissen ganz grundsätzlich von Keupp. Er präsentiert keine Wunderrechnungen, die den Adressaten gerade wegen ihrer Einfachheit und ihres Wunschdenkens über-reden (nein, nicht „überzeugen“). Richter zählt mehrere verschiedene Berechnungen von Instituten zu der Anzahl russischer Kampfpanzer auf. Deren verschiedene Resultate an sich zeigen schon, wie behutsam man bei solchen Berechnungen vorgehen muss. Ich will hier aus dem entsprechenden Abschnitt der Schrift Richters allein auf die Unterscheidung von Kampf-Panzern bei den aktiven Verbänden und solche in den Depots hinweisen, weiter von solchen bei verschiedenen Waffengattungen, ganz zu schweigen von den in Reparatur befindlichen und den tatsächlichen Neubauten (und deren steigender Anzahl).
Um Ihnen „Appetit“ auf die gesamte Schrift Richters zu machen, füge ich hier den entsprechenden Abschnitt ein:
„Aus den Daten des Londoner Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) von Anfang 2023 geht hervor, dass Russland Anfang 2023 noch über 2.070 Kampfpanzer in den aktiven Verbändendes Heeres, der Marineinfanterie und der Luftlandetruppen verfügte. Nach Einberechnung von Neuzugängen hätte es demnach bis Ende 2022 etwa 1.600 Kampfpanzer aus seinem Aktivbestand von 3.400 vor Beginn des Krieges verloren. Zugleich hat IISS die Zahl der Kampfpanzerreserven in den Depots ohne Erläuterungen von 10.000 im Jahr 2021auf 5.000 Ende 2022 korrigiert. Nach Angaben des Pentagon vom Februar 2023 habe die russischeArmee seit Kriegsbeginn „die Hälfte ihrer Kampfpanzer“ verloren. Wenn hier nur die aktive Truppenstärke zugrunde gelegt wurde, bedeutete dies einen Verlust von über 1.700 Kampfpanzern. Das französische Institute Action Resilience bezifferte Ende August 2023 die Zahl der bestätigten Abschüsse russischer Panzer auf 2.268, also auf weitere 600 in den sechs Monaten seit dem Februar. Ferner glaubt es, dass Russland noch über etwa 3.000 Kampfpanzer verfügt. Das Statistikportal Statista beziffert die russischen Kampfpanzerverluste Anfang November 2023 auf insgesamt 2.450, davon seien 1.607 zerstört worden. Die Schätzungen über russische Verluste sind also großen Schwankungen unterworfen und bleiben im „Nebel des Krieges“ vage. Obwohl sie zweifellos einen hohen Umfang erreicht haben, ging die stellvertretende ukrainische Verteidigungs-ministerin Hanna Maljar am 14.09.2023 davon aus, dass die russischen Truppen denen der Ukraine weiterhin materiell überlegen seien.“
(Oberst a.D. Wolfgang Richter: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Vorbereitung – Kriegsverlauf – Ressourcen – Risiken – Folgerungen. Publikation bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, Dezember 2023, S. 27f. – Beim Kopieren der Zeilen ist es mir nicht gelungen, die Quellenangaben Richters auch hierhin zu kopieren. Ich verweise hierzu auf das Original)
Nun zu dem gerade erhaltenen Artikel aus „zdf.de“, den ich oben genannt hatte!
Dieser nennt vier Gründe, warum nur noch „wenige“ der 18 erhaltenen Leopard-2-Panzer „im Einsatz“ seien: russischer Beschuss und technischer Verschleiß („erheblichen technischen Verschleiß durch den Fahr- und Schießbetrieb“). Falls es daraufhin zu Reparaturen komme, und nicht zu Totalverlusten, so trete Ersatzteilmangel auf, oder es komme zu Schäden durch Reparatur-Versuche ( genannt werden solche durch nicht geschulte Monteure, ich vermute aber, dass es auch solche mit ungeeigneten Mitteln gibt – Hammer statt Drehmomentschlüssel).
Ich lasse hier aus, wie viele durch den russischen Beschuss Totalverluste sind oder der Reparatur bedürfen. Der Artikel selbst spielt dieses Moment herunter, ohne z.B. die Effektivität der russischen Panzerabwehrtrupps wenigstens zu erwähnen oder die russische Überlegenheit an Kampfhubschraubern, die sich für die Bekämpfung von Panzern bestens eignen, wenn die Panzer selbst nicht umfangreich nach den Regeln der Verbundenen Waffen geschützt sind, oder auf Drohnen.
Die anderen Gründe für Reparaturanfälligkeit jedoch hätte jeder vorhersehen können, der auch nur etwas in der Geschichte des deutschen Panzerbaus geschnuppert hat!
Dem „Tiger“-Panzer der Wehrmacht (Panzer VI) geht ja in vielen Medien ein Mythos voraus. Oft aber wird nicht berichtet, wie anfällig dieser Panzer war für „technischen Verschleiß“, wie anfällig er also für Reparaturen war. Es wird dann weiter wenig berichtet, wie kompliziert diese Reparaturen selbst waren, wodurch eine hohe Anzahl von Ersatzteilen bedingt ist und entsprechend ausgestattete Werkstätten nötig sind. Weiter ist bekannt, wie oft diese Panzer wegen ihres hohen Treibstoffverbrauchs einfach liegen blieben.

(Panzer VI „Tiger“, selbst erstelltes Foto eines Modells)
Der Leopard-2-Panzer nun steht in der Tradition dieser Geschichte. Russland hat die andere Tradition der weniger komplizierten Kampfmaschinen, die dafür in höherer Anzahl gebaut werden und – mit geringerem Gewicht und geringerem Verbrauch daherkommen.
Auch diese Faktoren hätte der „zdf.de“-Bericht untersuchen müssen, denn:
- Gab es auch Verluste beim Leopard durch das hohe Gewicht, etwa im ukrainisch-russischen Schlamm (rasputiza) oder an Brücken?
- Blieben Leopard vielleicht auch wegen Treibstoffmangels auf Grund des hohen Treibstoffbedarfs liegen? Wir vermuten, dass Nachschub hierin besonders schwierig sein dürfte wegen der hohen Aufklärungsrate.
Und auf einen grundlegenden Unterschied hätten ein gründlicher Bericht noch aufmerksam machen müssen: Treten Panzerverluste ein bei Raumgewinnen durch Offensivhandlungen oder Raumverlusten bei Defensivhandlungen?
Wenn ich selbst Raum erobere durch Einsatz meiner (Kampf-)Panzer, so bleiben diese auf meinem Gebiet, sie können evtl. geborgen und repariert werden. Wenn ich selbst in der Defensive Raum aufgebe, auf dem diese Panzer operierten, so können schon leichte, aber reparaturbedürftige Defekte zu Totalausfällen führen, da ich die Panzer nicht mehr abschleppen kann.
Die Grafik des Leopard 2, die dann dem Artikel beigefügt ist, fängt sofort die Aufmerksamkeit, scheint rekordverdächtige Leistungsdaten zu nennen, problematisiert diese aber nicht im Text, wie etwa das durchaus zweischneidige Gewicht.
Fazit für die Friedens-Führung
Die bisherige Berichterstattung über Waffen in diesem Krieg war oft gekennzeichnet durch eine Glorifizierung westlicher Technik und eine Herabwürdigung russischer Technik. Beides führt zu Wunschdenken über die Möglichkeiten dieses Krieges an sich und zu einer Geringschätzung eines Gegners, der mit seinen technischen Traditionen oft Erfolge erzielte.
Eine Geringschätzung ist ein Fundamentalfehler bei jeder Lagebeurteilung.
Ein weiterer Fundamentalfehler ist es den zeitgenössischen Krieg mit den Rezepten und Waffen des vorangegangenen Krieges zu beginnen. Bedeutung hier: Wer mit den Mythen von Panzerdurchbrüchen mittels „Tigern“ und „Panthern“1 in den jetzigen Krieg geht, verkennt die Wirkung von
– Kampfhubschraubern,
– mobilen Panzervernichtungstrupps mit heutigen Formen der Panzerfaust und elektronisch/digital gesteuerten Lenkwaffen,
– und allen Arten der Verwendung von Drohnen.
Beispiel für letzteres: Im 2. Massenvernichtungskrieg gelang es dem Stuka-Piloten Rudel viele T 34 abzuschießen, mittels einer 3,5cm-Pak, die man zunächst provisorisch unter dem Stuka Ju87 befestigt hatte. Unter normalen Umständen war diese Pak schon 1940 im „Westfeldzug“ obsolet, man nannte sie „Heeresanklopfgerät“; der Stuka war gleichfalls schon obsolet. Unter die Ju87 gehängt aber erzielte man mit dieser Pak große Erfolge, weil man mit ihr direkt die schwächste Stelle des gegnerischen Panzers angriff: Die Motorabdeckung hinter dem Turm, die – kühlungsbedingt – die schwächste Stelle war. Heute übernehmen entsprechende Drohnen genau diese Angriffsart (bis man dem Panzer auch hiergegen eine Gegenwehr spendiert, die das Problem aber nicht völlig beseitigen können wird).
1Die Tücke bei vielen Mythen ist, dass sie dem eigentlichen historischen Geschehen oft nicht gerecht werden. Die wirklich großen Durchbrüche der „Blitzkriegsperiode“ erfolgten durch Panzer II, III und den Standardpanzer IV.