Der rechte Zeitpunkt für Verhandlungen in einem Stellungskrieg


(28.Dezember 2023)

oder:

Was, wenn Russland militärisch gewinnt?

„Scheitert die Offensive, könnte die Ukraine fordern, westliche Soldaten sollen westlichen Waffen folgen. Denn auch die geplanten westlichen Waffenlieferungen können die personellen Verluste der ukrainischen Streitkräfte nicht ausgleichen. Dagegen hat Russland bisher noch nicht die Masse seiner aktiven Kampftruppen eingesetzt. Man kann daher davon ausgehen, dass Russland nach weiteren ukrainischen Verlusten in Gegenangriffen dazu übergehen wird, die annektierten Gebiete bis zu den ehemaligen Verwaltungsgrenzen auszudehnen und damit das Ziel der «militärischen Spezialoperation» zu erreichen. Möglicherweise gehört dazu auch Odessa. Falls die russischen Streitkräfte weiter defensiv operieren oder lediglich die bisherigen Eroberungen konsolidieren, so ist mit der Fortsetzung des Krieges in geringer Intensität, jedoch mit langer Dauer zu rechnen.“

(General a.D. Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, in einem Interview von: Zeitgeschichte im Fokus, August 2023)

„(…)Vielleicht wären Verhandlungen zu einem Zeitpunkt schlau gewesen, als sie zwar maximal verpönt, aber die eigene Position gleichwohl stärker war als jetzt. Meine persönliche Meinung: Wenn der Krieg im nächsten Jahr endet, wäre auch etwas gewonnen.“

(Burkhard Ewert, Chefredakteur der Neuen Osnabrücker Zeitung, nach Weihnachten ’23 in „shz.de“ (shz e-paper app, lt Mitteilung per E-Mail von Burkhard Zimmermann. sh:z scheint schleswig-holsteinische Zeitung zu bedeuten)

Die beiden obigen Zitate beleuchten jedes für sich eines der Probleme des jetzigen Krieges.

General a.D. Kujat beschreibt auf professioneller Basis die tatsächlichen Aussichten in einem Stellungskrieg mit Abnützungscharakter. Dies formuliert er im Gegensatz zum Wunschdenken der Amateur-Militär-“Experten“, deren Wunschdenken wir jetzt fast das ganze Jahr ausgesetzt waren.

Der Chefredakteur der Neuen Osnabrücker Zeitung fragt sich am Ende eines Artikels, der seine während der Weihnachtstage gefundenen Gedanken zum Ukraine-Krieg enthält, wann Verhandlungen für die eigene Seite profitabel sind – und widerlegt diesen Gedanken mit seinem darauf folgenden Satz. (Über seinen Ausdruck „verpönt“ und was dieser an westlicher Haltung beinhaltet, könnte man einen ganzen Artikel schreiben)

Zu General Kujat ist weiter nichts zu sagen. Ich stelle nur die Frage, warum solchen Analysen von Männern, die nach erfolgreicher Karriere nun als Pensionäre auf nichts und niemanden mehr Rücksicht nehmen müssen, in den Medien, die die Bevölkerung am meisten konsumiert, praktisch kein Raum gegeben wird.

Zum Chefredakteur ist zu sagen, dass es ein ganz einfaches historisches Beispiel gibt für die Frage, die er in seinem Text aufwirft – das Verhalten der deutschen Regierung nach gut 2 Jahren des 1. Weltkrieges/Massenvernichtungskrieges.

Sowohl im Frühjahr 1917 wie auch im Frühjahr 1918 hätte die deutsche Regierung aus einer Position der Stärke heraus den Krieg mit einem Kompromissfrieden beenden können. Sie wählte statt dessen die Option eines Sieg-Friedens.

Zu beiden Zeitpunkten standen ihre Truppen an allen Fronten „weit in Feindesland“, wie man damals sagte. Ihre Verbündeten, Österreich- Ungarn und das Osmanische Reich, behaupteten ihre Stellungen noch; ihre Schwächen hatten sich noch nicht zu einer offensichtlichen Krise gesteigert.

Bis zum April 1917 waren die USA noch nicht in den Krieg eingetreten; bis zum Beginn der letzten strategischen deutschen Offensive im März 1918 waren noch keine geschlossenen Einheiten von US-Amerikanern an der Front eingesetzt worden – ihr Kampfwert war noch unbekannt.

Statt dessen verpulverte die deutsche Militärführung die letzten Reserven in der erwähnten Frühjahrs-Offensive und ihren kleineren Fortsetzungen im Frühsommer. Bis dann der oberste Generalstäbler plötzlich die Nerven verlor und die OHL das Konzept entwickelte die Zivilisten die Suppe auslöffeln zu lassen.

Die Konsequenzen all dessen kann man mindestens bis 1945 verfolgen.

Die Konsequenzen aus den Fehlern des Westens rund um Nato-Beitritte und Ukraine werden uns in ähnlicher Weise verfolgen.

—————————

Verweis auf andere Artikel in diesem Blog zum hier geschilderten Problem:

Kairos – der rechte Augenblick, am 10.6.22

1866 – keine Demütigung des Besiegten, am 12.5.22


Autor dieses Artikels ist:

G. Jankowiak

Sodinger Str. 60

44623 Herne