Pseudo-Experte oder interessengeleiteter Medien-Benutzungsspezialist?


In diesem Artikel möchte ich auf Ungereimtheiten in den Veröffentlichungen des folgenden Wissenschaftlers hinweisen:

Markus Keupp, in den Videos immer eingeführt als „Militärökonom“ an der ETH Zürich.

Es muss sich bei Keupp um einen Wissenschaftler halten, denn sonst könnte er sich nicht als Mitarbeiter einer Technische Hochschule (TH) bezeichnen. Die Bezeichnung „Militärökonom“ scheint mir ein neuer Begriff zu sein, möglicherweise der Spezialisierung in allen Bereichen geschuldet. Zu meiner universitären Zeit kannte man nur Begriffe wie ‚Militärwissenschaftler‘ oder ‚Militärhistoriker‘.

Erstaunlich finde ich in seiner Vita auf Wikipedia besonders drei Angaben: Zunächst einmal, dass er Zivildienst geleistet habe, ja, sogar ein Handbuch hierzu verfasste, jetzt aber wohl vor schweizerischen Offizieren Militärökonomie lehrt; dann sind in der Liste seiner gedruckten Veröffentlichungen nur zwei Bücher angegeben, von denen nur eines wirklich inhaltlich Militärökonomie enthält; besonders erstaunt war ich, dass er auch noch „Künstler“ ist und Ausstellungen beschickt. Er mag das alles ja schaffen; meine Professoren aber hatten nicht noch ein so zeitraubendes Hobby zusätzlich zu ihrem Lehrstuhl.

Im Folgenden möchte ich Herrn Keupp unter dem Maßstab eines Wissenschaftlers beurteilen. Anlass hierfür ist ein merkwürdiger Widerspruch zwischen zwei wortreich vorgetragenen Prognosen des Hern Keupp im populären Medium „Youtube“1 und neueren Meldungen über die russischen Rüstungskapazitäten2 und deren Produktion.

In einer der ersten dieser Prognosen, hier unten unter rtl wiedergegeben, heißt es etwa:

„Russland hatte vor dem Krieg ca. 2.700 einsatzfähige Panzer, davon sind 1.155 vernichtet oder von den Ukrainern angeeignet. Heute ist Tag 108 des Krieges, das ergibt eine Verlustquote von 5,5 Panzern pro Tag. Mit anderen Worten: der Krieg dauert noch 280 Tage und dann hat Russland keine Panzer mehr.“ Im unten in der Anmerkung genannten Youtube-Video von vor 6 Monaten mit dem Titel „Putins Niederlage im Oktober zu erwarten“ meint Keupp auf 3’25“ (also bei 3 Minuten und 25 Sekunden im Video) die russischen Panzer wären dann „endgültig alle weg“.

Dies ist zuerst auffällig: Die Prognosen stimmen einfach nicht! Man rechne nach: Seit dem Zeitpunkt des obigen Zitats sind gut 12 Monate vergangen. Wenn man die von Keupp genannte Verlustquote von 5,5 Panzern/Tag nimmt, hätte RU seit dem Zitat zusätzlich zu den damals schon vernichteten 1155 Panzern weitere 1980 verloren, Summa: 3135 Panzer. RU wäre also Ende September 2023 schon bei einem Minusstand von gut 400 Panzern gelandet. Dazu vergleiche man noch a) die heutige Frontlage und b) etwa folgenden Bericht der angesehenen Zeitung „Frankfurter Allgemeine“ vom 1.10.2023, seltsamer Weise also in dem Monat, in dem lt. Keupp „Putins Niederlage“ zu erwarten ist:

„Nach einem Bericht der ‚New York Times‘ sehen das auch amerikanische Regierungsvertreter so. Die Zeitung berichtete, nach ihren Informationen produziere Russland im Augenblick 200 Panzer im Jahr, zweimal so viel wie vor dem Großangriff auf die Ukraine. Die Produktion von Artilleriegranaten sei auf zwei Millionen im Jahr gestiegen – abermals das Doppelte der Vorkriegszahl. Das sei mehr Munition, als Amerika und Europa derzeit gemeinsam herstellten.“

Und ein weiteres Video3 aus einer sehr russland-feindlichen Ecke konstatiert vor ZWEI Tagen eine „Drohnenüberlegenheit“ Russlands, wobei der Titel des Videos dem Inhalt widerspricht. (Ja, ich weiß, normalerweise zitiere ich kein „Bild-Lagezentrum“. Ich will nur darauf hinweisen, dass es selbst in der ideologischen Ecke, zu der wohl auch Keupp gehört, ganz gegenteilige Informationen zirkulieren.) Ich möchte auch wegen der geforderten Ganzheits-Schau aller Faktoren darauf hinweisen, dass die Interessen z.B. Chinas diesem gebieten Russland mit Hard- und Software zu unterstützen. Schon einmal kam ja aus dem Fernen Osten wirksame Hilfe für bedrängte Sowjet-Armeen.

Ich halte also die obige Prognose Keupps für völlig unzutreffend und von der Realität krachend überholt.

Man erwartete eigentlich, dass sich Keupp in neueren Videos kritisch mit seinen falschen Prognosen auseinandersetzte. Ich habe also ein Video von „zdf heute“4 durchgehört: kein Wort der Erklärung zu seinen eigenen falschen Prognosen! An einer Stelle weicht er der Angabe über „Panzer“ aus – also genau dem Thema seiner Prognose vom September 2022 – und verkündet statt dessen, die russische Artillerie habe große Verluste, es gebe ein „historisches Tief“ bei deren Verlusten.

Statt dieser Ungenauigkeiten nun aber neue Voraussagen in Menge: wenn der Westen das und das liefere, dann könne Russland nicht mehr mithalten: Taurus sei ein ‚Gamechanger‘, im November käme eine neue weitreichende Waffe aus den USA. Keupp sieht Russland schon die Krim verlieren, denn der Leopard 2 A6 sei natürlich dem T72 überlegen; der Bradley dem BMP 1; die britischen und französischen Marschflugkörper hätten das modernste Abwehrsystem S 500 überwunden und die Schwarzmeerflotte zum Abzug gezwungen.

Hier werden schon Elemente von Keupps Methode sichtbar,die ich anhand des in Anmerkung 1 genannten Youtube-Videos (https://www.youtube.com/watch?v=V7Xdqgwz_NQ) noch näher belegen möchte. Die im Folgenden genannten Stellen beziehen sich auf dieses Video:

  • Der Wechsel zwischen sehr einfachen Rechnungen mit einfachen Zahlen, präsentiert jedoch ohne entsprechend sichtbare geschriebene Rechnung, und dann allgemeine Angaben ohne Zahlen, also der Wechsel zwischen scheinbarer Genauigkeit und Aussagen mehr allgemeiner Art.
  • Dadurch kommt man zu einem zweiten Element: der Verzicht auf Anschaulichkeit. So findet man in keinem der angegebenen Beiträge irgend eine Tabelle oder Schautafel – Dinge, die z.B. in den Videos von Oberst Markus Reisner vom österrreichischen Bundesheer für Eindeutigkeit und Nachprüfbarkeit sorgen, indem der Benutzer das Standbild aktiviert und dann in Ruhe verifiziert.
  • Der Verzicht auf Nachprüfbarkeit im Sinne von sauberen Quellenangaben: nirgendwo werden die von ihm im Vorbeigehen genannten Quellen und /oder das dort angeführte Material wie z.B. eine bestimmte Veröffentlichung des International Institute for Strategic Studies eingeblendet. Wohlgemerkt: diese Interviews wenden sich nicht an wissenschaftliches Publikum und gerade diesem sind diese schnell und teilweise ungenau pronunzierten Angaben unbekannt und daher nicht verifizierbar. Gleiches gilt für Gewährsmänner, die er nennt: da werden schnell hintereinander „Petraeus“ und „Hodges“ und Kellogg genannt(???Name des Letzteren war mir akustisch nicht verständlich;die Aufzählung dieser Personen kommt im Video bei 5’30“) . Wie soll ein Hörer diese Angaben verstehen und dann noch überprüfen? Petraeus z.B. war zeitweise US-Oberbefehlshaber im Irak mit einer neuen Methode der Anti-Guerilla-Kriegführung. Aber wem von den am heutigen Ukraine-Krieg interessierten Video-Betrachtern ist das schon bekannt. Und weiter: Wo ist die wissenschaftlich notwendige Angabe, in welchem Medium (und eventuell welchem Kontext) Petraeus oder Hodges oder dieser Kellog diese oder jene Meinung vertreten haben??? Ohne diese Angaben kann man nicht einmal einschätzen, ob man da zufällige, temporäre oder grundsätzliche Äußerungen der Zitierten vor sich hat.
  • Auslassung von Gegen-Informationen oder Gegen-Gewährsmännern: Im Anschluss an die gerade genannten Petraeus und Hodges und Kellogg (?) hätte er doch als Wissenschaftler wenigstens auf anders lautende Experten hinweisen müssen, so z.B. auf den gerade in Pension gegangenen US-Generalstabstchef Mike Milley, der eben genau die Gegenposition zu Keupps Russland-Verachtung vertritt – ganz zu schweigen von nicht wenigen pensionierten Bundeswehr Generalen mit ihren Warnungen.
  • Unpassende Vergleiche mit erkennbar propagandistischer Zielrichtung. Ich habe oben drei Beispiele für unpassende Vergleiche zwischen modernsten westlichen Waffen und uralt-sowjetischen Waffen genannt.
  • Starke Ausdrücke, die den Zuhörer zum Mitlachen über Keupps jeweilige Gegner verführen sollen: da ist Deutschland schon mal „durchseucht“ (5’02“ des Videos) von russischer Propaganda; da ist er einer Meinung mit „westlichen Militärexperten, jedenfalls solchen, die den Namen verdienen“(5’45“ des Videos);
  • Protzen mit Fachausdrücken bei gleichzeitigen Seitenhieben gegen andere Experten: So entschuldigt Keupp sich wohl pro forma im gleichen Video (3’47 bis 3’50) für die Benutzung „denglischer“ Waffenbezeichnungen mit dem koketten Hinweis, ihm fielen gerade die deutschen Bezeichnungen nicht ein. Beabsichtige Wirkung beim unbedarften Zuschauer: Der Keupp muss ja so tief in den Quellen aus USA und GB stecken, muss sich ja so viel mit dortigen Experten austauschen, dass ihm die deutschen Bezeichnungen wie etwa „Schützenpanzer“ nicht einfallen.

Wer meint, dass all dies nur „Schnitzer“ in eben einem Video sind, der vergleiche aus derselben Zeit wie das hier angeführte Youtube-Video das Interview im Sender „Welt“ (https://www.youtube.com/watch?v=Z8AVo9F-r5A)

Versuch eines Fazits zu Herrn Keupp:

Dem o.g. Wikipedia-Artikel entnehme ich einerseits eine Reihe von zutreffenden Bemerkungen von Keupp, insbesondere zu den Sanktionen. Zutreffend sind wohl auch einige seiner Erklärungen zum schlechten Zustand von Teilen des russischen Militärs5. Gleichzeitig meine ich ja oben bewiesen zu haben, dass er sich in zentralen Punkten täuscht, und zwar ohne in eigentlich wissenschaftlicher Manier auf die Grenzen seines Wissens oder andere Ansichten hinzuweisen.

Zwei Erklärungen könnten hier zutreffen:

  • Bei den zutreffenden Bemerkungen zu den Sanktionen etwa kommen diese ja dem politischen Anliegen Keupps entgegen: der Kriegskurs gegen Russland ist noch zu forcieren! Ein Vertrauen in Sanktionen, also Gegenmaßnahmen ohne Waffen, ist vergeblich! Es müssen mehr Waffen heran!
  • Keupp geriert sich eben weniger wissenschaftlich, mehr propagandistisch. Darunter leidet Wissenschaftlichkeit immer.

Vielleicht hat er aber auch zu wenig Zeit für echte Wissenschaft, da diese ja nicht mit „glänzenden“ Interviews prunken kann, was ihm als Künstler vielleicht zu undramatisch ist.

Fazit bezüglich der Friedens-Führung

Gerade Wissenschaft im Atomzeitalter muss möglichst sachlich informieren und verifizierbar sein. Denn: Fehler in diesem Kontext, der dem Menschen die Energie zur Selbstzerstörung in die Hand gegeben hat, können sich schnell selbst-mörderisch auswirken. Keupp endet z.B. mit seinen Ansätzen bezüglich der Atomkriegsgefahr dabei, dass er auf Sorglosigkeit plädiert, da ja die russische Raketenabwehr wegen Modernisierungdefiziten nicht effektiv sei; und diese Hilflosigkeit gegenüber „westlichen“ Atomschlägen würde die russische Führung davon abhalten solche selbst zu veranstalten.

In diesem Zeitalter ist besonderer ethischer Ernst von Nöten. Ich verweise hierzu auf meinen Artikel zu Albert Schweizer am 2.März 2023. Und deshalb gilt ganz besonders:

Propaganda im Mäntelchen von glänzenden wissenschaftlichen Titeln ist per se nicht solide, sachlich und problemlösend. Deshalb ist sie auch nicht friedensfördernd.

1

https://www.youtube.com/watch?v=V7Xdqgwz_NQ (Youtube nennt selbst, dass das Video 6 Monate als sei, müsste also von Ende März/Anfang April stammen) UND https://www.rtl.de/cms/militaeroekonom-rechnet-vor-der-krieg-dauert-noch-280-tage-und-dann-hat-russland-keine-panzer-mehr-5007648.html (Artikel am angegebenen Ort vom 20.September 2022)

2„Russland baut immer mehr Panzer“ https://zeitung.faz.net/fas/seite-eins/2023-10-01/14e95e3e281f04d859332084bfdbabdf/?utm_source=pocket-newtab-de-de

3https://www.youtube.com/watch?v=vxaIIOsC18k

4https://www.youtube.com/watch?v=hiUdj4TNjRM&t=1503s , wohl vom 7.10.2023

5Ich hatte hier in „Frieden-Führen“ zum Beispiel im Artikel „Exkurs zur tieferen Bedeutung der schlechten Ausrüstung des russischen Soldaten“ auf solche Schwächen hingewiesen, immer aber auch in vielen anderen Artikeln vor einer Unterschätzung der Regenerationskraft Russlands und seines historischen Bewusstseins gewarnt. So etwa im Artikel „Bombenstimmung, 2. Teil“