…. … und ein Frieden wird von diesen überrollt werden(1. Teil vom 5.1.2023)
Wir haben hier schon mehrfach die Meinung vertreten, dass dringend ein Waffenstillstand her muss, solange beide Gegner sich aufgrund ihrer Verluste und des Wetters vor Ort („Rasputiza“ – die „Wegelosigkeit“ der Schlammperiode) in einem Stellungskrieg befinden. Denn nach dem Stellungskrieg werden Offensiven beginnen und durch diese könnte es für eine der beiden Seiten zu Entwicklungen kommen, die zur Aussicht einer Niederlage dieser Seite führen.
Eine Grundlage meiner Ausführungen hier sind die militärfachlichen Beiträge auf Youtube vom
- deutschen Brigadegeneral Dr. Chr. Freuding, Leiter des „Sonderstabes Ukraine“ der Bundeswehr, in der BW-eigenen Reihe „Nachgefragt“ vor 2 Wochen
- österreichischen Oberst i.G. Reisner in seiner Stellungnahme in der „Agenda Austria“ vor 1 Monat. (Youtube nennt keine genauen Daten, jedenfalls in meiner TV-Einstellung)
Die andere Grundlage sind eigene Überlegungen.
I. Der deutsche General zu den Chancen und Gefahren beider Parteien:
a) Chancen der ukrainischen Seite
Nach Dr. Freuding hatte die Ukraine bisher in zwei Phasen Abwehrerfolge und in einer dritten Phase Angriffserfolge. Sie sei von der NATO bisher mit Abstands-/Defensivwaffen gut ausgerüstet; tief wirkende Artillerie stünde ihr aus NATO-Lieferungen seit der dritten Phase zur Verfügung und sei auch mit Erfolg eingesetzt worden, was die Erfolge um Charkiw und um Cherson zeigten. Die Logistik habe sich verstetigt, was sich u.a. in einem Wartungszentrum für NATO-Waffen in der Slowakei, 30 km von der ukrainischen Grenze, zeige. (Ja, westliche Waffen sind traditionell anfällig, aber auch brandgefährlich, wenn sie funktionieren. War schon im 2. Weltkrieg beim „Tiger“/Pz VI der Fall) Auch stelle man sich dem Problem des richtigen Verhältnisses von Ausbildung von ukrainischen Einheiten in rückwärtigen Gebieten und dem Verbleiben von genügend Einheiten an den Fronten.
Das Problem der Kampfpanzer hat die etwas seltsam anmutende Befragerin des Generals nicht angesprochen.
Auswirkungen der militärischen Chancen auf die Politik
Freuding ist der Meinung, dass die Ukraine erfolgreich die Rückeroberung der besetzten Gebiete mit dem Ziel der Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität schaffen könne, da man im Moment neben den o.g. Verbesserungen auch das Problem der Luftabwehr gut bearbeite. Das politische Problem der Lieferung der Patriot-Raketen sprachen weder er noch die Befragerin an.
Sie sehen hier schon, dass ich Gen. Freudings rein fachliche Infos ohne Kommentare wiedergebe, mich aber kaum einer Kritik enthalten kann, wenn es aus rein militärischen Einzelheiten in größere Zusammenhänge geht, die auch das Gebiet der Politik berühren. Freuding wirkt rein optisch wie ein Wehrmachtsgeneral, spricht aber nicht „schneidig“, eher sanft. Dennoch ist er – gemessen an dem Youtube-Interview – ein Nur-Soldat, oder er gibt sich so. Ich vermute fast letzteres, oder eine Mischung aus beidem. Denn:
Wie kann jemand, der bei der Beratung der deutschen Politiker zumindest indirekt Einfluss hat, mit dem Wort optimistisch eine Zukunft bezeichnen, in der es Ukraine, wie oben angedeutet, mit NATO-Hilfe gelingen könnte, die territoriale Integrität zurückzuerobern. Wohlgemerkt: es handelt sich da um
– die Krim (erobert seit 2014)
– den Donbass mit den Oblasten Donezk und Luhansk(erobert seit 2014)
– die Oblaste Saporischschja und Cherson (z.T. erobert 2022)
Gefährliche politische Folgen möglicher militärischer Triumphe
Keine Staatsführung und keine Militärführung auf der Welt könnte solche Gebiete, die sie – zu Recht oder zu Unrecht – als ihr Staatsgebiet betrachtet, wieder durch Gewalt verlieren, ohne sich völlig lächerlich zu machen. Im Übrigen, neben den staatsrechtlichen Überlegungen: für die Eroberung dieser Gebiete haben russische Eltern ihre Söhne geopfert, da klebt also Blut dran.
Damit man mich nicht falsch, also als einseitig, verstehe: Natürlich klebt daaran auch das Blut ukrainischer Soldaten. Aber deren Staatsführung muss sich ja nicht wie die russische mangelnder Effektivität anklagen lassen. Auch ich bin der Meinung , dass es völkerrechtswidrig ist, die gerade eroberten zwei Oblaste Saporischschja und Cherson einfach auf Basis des „Rechts der Gewalt“ als russisches Staatsgebiet zu beanspruchen. Differenzierter sieht es aus, wenn es an die anderen drei Gebiete geht. Soweit mir bekannt, leben in allen drei Gebieten Bevölkerungen, die sich auch 2014 wohl eher zu Russland bekannt hätten.
Wir kommen hier also zu dem Problem der bekannten Normen des Völkerrechts: Selbstbestimmungsrecht der Völker und Unverletzlichkeit der Grenzen. Wir haben die Ambivalenz dieser Prinzipien in den Artikeln zu Versailles geschildert.
Und jetzt denken wir mal folgerichtig weiter, unter Akzeptierung der gerade geschilderten Voraussetzungen ab der Stelle „Keine Staatsführung… “ hier oben:
Verlieren könnte eine solche Staatsführung diese von ihr als „russisch“ beanspruchten Gebiete nur, wenn ihre Armee total geschlagen wäre, denn sonst wäre diese Armee ja verpflichtet, die Besetzung dieses „russischen“ Gebiets durch den „Feind“ zu verhindern.
Wenn die Armee dieser Staatsführung so schwach geworden sein sollte, dass sie dies nicht mehr verhindern kann, so kann sich die Staatsführung nur dann retten (oder im Sinne des Nazi-Slogans: „Wir werden einmal die Tür hinter uns zuschlagen, daß die Erde aus den Angeln fällt“), wenn sie diejenigen anderen Waffen ausspielt, die die Katastrophe ihrer konventionellen Streitkräfte noch abwenden kann.
Ich vermute, ich muss hier nicht erklären, welche Waffen dies sind?
Deutsche Offiziere wieder für „Sieg“???
Und wenn all diese Folgerungen stimmen: Ich bin entsetzt, dass es deutsche Soldaten geben kann, die in einem öffentlichen Interview diese Gefahren für Deutschland, für ganz Europa, nicht wenigstens ansprechen.
Dr. Freuding sollte da schon aus der Beobachtung seiner eigenen Gedanken viel vorsichtiger sein, denn er äußerte im Interview auch, dass er im Februar 2022 nie erwartet hätte, dass der jetzige Stellungskrieg um Bahmut Szenen produzieren könnte, wie sie original aus dem 1. Weltkrieg bekannt sind; Freuding selbst hatte Februar 2022 eine Guerillakrieg erwartet, also die Besetzung großer Teile der Ukraine durch Russland mit anschließendem Wechsel zum Kleinkrieg seitens der Ukrainer. Ähnliches hatten wir noch vor Beginn des Krieges auch als wahrscheinlichste Entwicklung gesehen und daraus irrtümlich abgeleitet, dass Russland sich nicht auf die Besetzung der Ukraine und damit den Krieg einlassen würde ….
Wenn also Dr.Freuding sich schon ein Mal im Kriegsbild irrte,so sollte er diese Möglichkeit der Öffentlichkeit nicht vorenthalten. Ich möchte statt dessen hier anführen, was mein verehrter Universitäts-Lehrer Professor Hahlweg dem Dr.Freuding raten würde:
Richtige Einzelmaßnahmen können nur aus einer Gesamtschau aller Faktoren und Entwicklungsmöglichkeiten abgeleitet werden.
Deshalb hätte Dr.Freuding diese „worst case“-Möglichkeit auch nennen müssen. Er scheint wohl schon aus einer Generation zu kommen, der General Graf Baudissins Erkenntnis „Nie wieder Sieg!“ unbekannt ist – anscheinend verkörpert er die Enkelgeneration, die vergangene Lehren nicht mehr im Blut hat, wie noch Schmidt, Genscher, selbst Kohl u.a.
Wir haben ja leider in zwei Weltkriegen genug hohe Soldaten gesehen, die von „Siegen „schwadronierten, ohne dem Volk zu sagen, dass diese „Siege“ zu mickrigen Scheinerfolgen wurden, wenn man sie in den Rahmen eines auf allen Ebenen total geführten Weltkrieges mit Weltmächten stellte und von dort aus beurteilte.
Folgerungen für eine richtige Friedens-Führung
Die jetzige Krieg-Führung aller beteiligten Staaten hat in der Zeit des Stellungskrieges und der „Rasputiza“ schon ganz viel Zeit verloren um das Abgleiten des Krieges zu stoppen, denn: sobald mechanisierte Kriegführung mit Offensiven wieder möglich werden, gibt sich die momentan vorrückende Seite wieder Illusionen über die Möglichkeit eines „Sieges“ hin – so wie 1917 und 1918.
(Ich verweise da auf Teil 1 und 2 meiner dreiteiligen Reihe zu den Friedensbemühungen 1916/17; Teil 3 wird durch aktuelle Artikel wie diesen immer wieder aufgehalten)
Autor dieses Artikels ist:
G. Jankowiak
Sodinger Str. 60
44623 Herne