(9-10-2022)
Gestern, also am 8.10.’22, kam die Nachricht, dass die bis zum Februar/März einzige Verbindung zwischen Russland und der annektierten Krim von einer Autobombe schwer beschädigt sei.
Wir fragen nach einigen Bedeutungen dieses Ereignisses, geordnet nach Ländern:
Für Russland
a) Die Beschädigung der Brücke könnte das Ansehen des russischen Präsidenten fundamental beschädigen, da er die Schuld hieran nicht an seine Generalität abschieben kann. Falls die Autobombe die Ursache sein sollte, so wird dem Präsidenten sicher die mangelhafte Kontrolle der die Brücke befahrenden KfZ angekreidet werde. Er hätte dann in einer primären Aufgabe eines Staatschefs, der Garantie der Sicherheit, versagt.
b) Die Bedeutung der Brücke für die langfristige Krim-Strategie schien mir schon seit dem Bau ein Zeichen für Unklarheit zu sein:
Erstens ist sie ein schwer zu bewachendes Bauwerk, sowohl von der Fahrbahn her für die jetzige Beschädigungen wie von der Unterkonstruktion her für Beschädigungen von See her (unter- und oberhalb des Wasser)
Zweitens wäre sie ja überflüssig, WENN die hier oft geäußerte Vermutung stimmte, dass der dämonisierte Putin sowieso die Eroberung der Ukraine plante. Dann wäre ja der Landweg wieder frei, und es bräuchte eine so komplizierte und anfällige Konstruktion nicht. – War also in den Jahren 2014-2018, also in der Bauzeit, die Eroberung des Landweges durch die ukrainischen Südprovinzen, also der Krieg von 2022, gar nicht geplant???
Drittens bedeutet die jetzt bewiesene Verwundbarkeit der Brücke für das Festhalten an der Krim, dass Russland unbedingt den Landweg zur Krim behalten muss, d.h. die Provinzen Saporischschja/Saporoschje und Cherson. Das Festhalten hieran ist zwar durch die in dieser Woche vollzogene Annektion der beiden Provinzen schon bestätigt, aber selbst jetzt schien da noch Manövriermasse zu sein für mögliche Verhandlungen, wie Peskow wohl bestätigte, der davon sprach, dass die Grenzen der beiden Provinzen noch nicht feststünden.
Für Deutschland
Wir waren beim letzten Abschnitt der Analyse für Russland dahin gekommen, dass wir von der Bedeutung für mögliche (Friedens)Verhandlungen sprachen. Dies führt mich zu der Überlegung, was unsere Führung sich für Einflussmöglichkeiten auf die Kriegsziele reserviert hat. Denn:
Wenn man – mit den Partnern im Westen, aber dort an herausragendem Platz – die Ukraine mit den Waffen versorgt, die diese befähigte, die jetzigen großen Erfolge zu erzielen, so gebietet es die Staatsräson, Mitsprache zu verlangen bezüglich der „Hauptlineamente“ (Clausewitz) des Krieges. Dass dies bedeutsam ist, zeigt schon die einfache Vorstellung, dass Ukraine mit den weitreichenden Waffen aus bisherigen Lieferungen das russische Mutterland beschießen könnte – was aus russischer Sicht eine erneute Eskalation bedeuten würde. Deutschland wäre von einer solchen zu mindesten beeinflusst, könnte sogar Schaden nehmen.
Also ist bewiesen, dass derjenige, der einen Partner erst zur Abwehr befähigt, auch bei dessen Weiterführung des Kampfes Mitsprache haben müsste.
Falls nun die hier verantwortliche Führung sich keine solche Mitsprache VOR Lieferung der Waffen gesichert hat, zeigt sie damit, dass sie letztendlich NAIV handelten, also: Baerbock, Scholz und die Verteidigungsministerin.
Falls sie sich aber solche eine Mitsprache reserviert hatten, hätte sie diese Attacke auf die Brücke mit den oben geschilderten Folgen in Russland verhindern müssen bzw. sich davon distanzieren müssen.
Falls sie eine solche Mitsprache reserviert hatte, aber nicht konsultiert worden ist, so hätte sie sich distanzieren müssen und die Waffenlieferung anpassen müssen.
In allen drei Fällen hätte die deutsche Führung Schaden für ihr Land verursacht.
Für die Ukraine
Der Angriff auf die Brücke inmitten der gemeldeten Erfolge im Osten und Süden zeigt, dass die jetzige Führung nicht nur die Rückeroberung der Provinzen im Osten und Süden plant, sondern auch die Rückeroberung der Krim.
Diese Kriegsziele dürften den Krieg weiter eskalieren lassen, seine Dauer verlängern und damit das Risiko einer Ausweitung über den jetzige Kriegsschauplatz hinaus bringen.
Exkurs für historisch Interessierte:
Gestern in der „aktuellen Stunde“ des WDR interviewte man einen weiteren „Militärexperten“ (wo kommen die bloß alle her). Dieser, der fest die Position des Westens vertrat, schätze die Auswirkungen der Autobombe so ein, dass Putin angesichts der Kritiker aus dem nationalistischen-rechten Lager eine „brutale“ Antwort erteilen müsse. Nun, Antworten solcher Art müssen nicht unbedingt einer rationalen militärischen Berechnung entsprechen; sie sind deshalb unberechenbar, wie das Beispiel hier zeigt:
1940, nach dem Rückzug der Briten vom Kontinent (Dünkirchen), startete die deutsche Führung ja die sogenannte „Luftschlacht“ um England. Zuerst mit dem militärisch begründeten Schwerpunkt auf der Schwächung der britischen Luftwaffe. Deshalb zielten die Bomber auf die Flugplätze der Briten, besonders solche mit Jagdflugzeugen. Mit dieser Schwerpunktsetzung war man kurz davor, die britische Luftabwehr zu besiegen, d.h. die Luftschlacht zu gewinnen.
Da befahl in einer Art wilder Rache Churchill seinerzeit einen Bomberangriff auf Berlin. Der Angriff fand im Kontext der Prahlereien Görings statt, er wolle „Meier“ heißen, wenn feindliche Bomber auf Reichsgebiet Schaden anrichten würden. Der Angriff selbst verursachte minimale Schäden, wenn man ihn mit den deutschen Luftangriffen 1939/1940 auf europäische Städte vergleicht.
Hitler allerdings reagierte extrem gereizt! Er befahl eine Änderung des Schwerpunktes der deutschen Bomber: nicht mehr auf Einrichtungen der Royal Airforce, sondern auf die Wohngebiete der Städte – die sogenannte „Vergeltung“, von der solche Politiker damals und wohl auch jetzt sprechen.
Fazit:
Die britische Jägerwaffe konnte sich erholen, da ja nicht mehr ihre Einrichtungen, sondern die zivilen Städte bombardiert wurden. Diese Jägerwaffe gewann dann in Folge die „Luftschlacht um England“ für England.
Die „Vergeltung“ Hitlers führte zu einer Niederlage.
Autor dieses Artikels ist:
G. Jankowiak
Sodinger Str. 60
44623 Herne