Am 10.5.d.J. schrieb ich unter anderem darüber, dass der französische Präsident davor gewarnt hat, Russland zu demütigen. Ich vermute, dass er meinte, man solle es nicht demütigen, wenn sein militärischer Erfolg ausbleibt oder sogar von den Ukrainern in das Gegenteil verkehrt werden kann, was ja beides für RU gleichbedeutend mit Niederlage wäre – also dem Zwang einen Vertrag in ungünstiger Position verhandeln zu müssen. Ich vermute weiterhin, dass Macron genau weiß, wie voller Hybris in solch einer Situation die Führenden in der Ukraine wären.
In diesem Zusammenhang fiel mir folgende Passage auf, die ich gestern in einer Biographie über v.Bismarck las:
Aus: E. Engelbrecht: Bismarck, Urpreuße und Reichsgründer. Berlin 1989 (5), S. 610f.
Ich will mir hier das Experiment erlauben, Personen und Orte auszutauschen, um herauszufinden, ob man aus v.Bismarcks Beispiel etwas für heute lernen kann:
Selenskyj/Biden wäre gern an der Spitze der Truppen in die alte Kaiserstadt Moskau eingefahren und hätte am liebsten den Staat des neuen Zaren mit Kriegskontributionen und Annexionen ‚in einigem in die Auge springenden Umfange‘ bestraft. Aber Macron wollte keine Strafaktion, sondern eine politische Lösung der Krise: Brechung der Hegemonie Russlands in Osteuropa, zugleich Erhaltung dieses Russlands als einer europäischen Großmacht, mit der eine Zusammenarbeit früher oder später möglich sein musste. Eine Besetzung Moskaus, ohne dazu politisch und militärisch genötigt zu sein, lief auf eine Demütigung der Russen mit unabsehbaren Folgen hinaus.
(Ich habe hier „Moskau“ nur eingesetzt als abstrakte Entsprechung zu „Wien“; ich glaube natürlich nicht im Ernst, dass die beiden Personen am Anfang meines Experiments bis Moskau kommen würden. Außer – natürlich – wenn es nach Clausewitz‘ Rat erfolgen würde, Russland würde durch einen Zustand der Schwäche und innere Spaltungen besiegt; zum Wortlaut Clausewitz‘ s. die 18. Auflage „Vom Kriege“, Bonn 1973, S. 1024)
Fazit:
Falls sich die Situation so weiter entwickelt wie bisher, sollte man im eigenen Interesse der Lehre des historischen Beispiels folgen.
Denn: Die schonende Behandlung Österreichs (dann: Österreich-Ungarns) machte sich schon 1870 und dann auf dem Wege zu 1914, bündnispolitisch gesehen, „bezahlt“.
Autor dieses Artikels ist:
G. Jankowiak
Sodinger Str. 60
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