Trumps USA und Caesars Rom: Es gibt Ähnlichkeiten!


Heute, am 6.11., bemerkte eine Politologin im „Morgenmagazin“ zum Wahlsieg in den USA sinngemäß folgendes: Das Resultat sei die Rache der weißen Männer ohne High-School-Abschluss, der Männer aus den Vorstädten und vom Lande, an einem System, das sie deklassiert habe. Von einem weiteren Politologen in der gleichen Sendung wurde noch bemerkt, dass schwarze Männer den Feminismus von Harris abgelehnt hätten, und dass die „Hispanics“ weitere Einwanderung anderer Hispanics fürchteten und hofften, dass Trump diese illegale Migration stoppen würde.

Diese Erklärungen zu Trumps Wahlsieg ließen mich an eine weit zurückliegende Lektüre denken: „Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“ von Bertolt Brecht.

Dort wird das Handeln Caesars im Rahmen der römischen Republik in der Endphase dieser Republik beschrieben, also im letzten Jahrhundert vor Christus. Von Brechts Buch gingen meine Gedanken zurück zur Krise der römischen Republik und dem eigentlich doch skandalösen Sieg Trumps bei der jetzigen Wahl: er ist verurteilter Straftäter, ist Rassist, äußert sich sexistisch, ist der multiplen Lüge überführt usw. War Caesar nicht auch so ein Skandal-Politiker? Lässt sich von Skandal-Politikern Rückschlüsse ziehen auf die Gesellschaft, in der diese Politiker Erfolge erringen?

Hier also einige Elemente der Krise der römischen Republik, die mich an die jetzigen USA denken ließen:

Seit Jahrhunderten waren in Rom die Senatoren die herrschende Klasse, also wäre Rom eine Adelsherrschaft. Rom war Republik, sogar mit einer Art Gewaltenteilung und einem demokratischen Teilbereich! Ja, demokratisch, denn die Volksversammlung entschied über Gesetze, sie wählte die Politiker in ihre Ämter. Nur: dieses komplizierte Verfassungssystem war schon längst nicht mehr funktional. Denn: ein Teil der Senatoren war finanziell und politisch abgehängt. Diese abgestiegenen Elemente der eigentlichen Führungsschicht bildeten – zusammen mit Angehörigen der Mittelschicht – eine neue Gruppe, sie nannten sich „Popularen“, übersetzt etwa die „Volkstümlichen“, die „Volksfreunde“.

Caesar betätigte sich in dieser Situation als Popular, obwohl er ja von uraltem Adel war. Trump gibt vor für die „kleinen Leute“ zu handeln, also populistisch gegen das Establishment in Washington, obwohl er ja von Werdegang und Vermögen genau zu diesen Kreisen gehört.

Hier fällt mir über den Begriff „Popularen“ ein, dass man ja heute denjenigen, die gegen die aktuelle Führung wettern, also Leuten wieTrump, Orban, AfD usw. „Populismus“ vorwirft. Ja, auch hier liegt eine Vergleichbarkeit vor: während die Popularen bei den Römern Veränderungen zu ihren Gunsten anmahnten, beharrten die Erfolgreichen aus der Klasse der Senatoren darauf, dass die politische Ordnung nicht verändert werden dürfe: alles sei zum besten, die Klassen der Bevölkerung müssten nur die Vorteile der besonderen Verfassung Roms erkenne. Diese sei so optimal, weil es eine „Mischverfassung“ sei (in den USA würde man von checks and balances sprechen). Diese Gruppe von Bewahrern, von Konservativen, legte sich im Gegensatz zu den Popularen den Namen „Optimaten“ zu: die Besten. Sie hielten sich also für eine althergebrachte Elite, die die Verfassungsordnung der althergebrachten Republik hütete.

Einer der größten Geister Roms, M. Tullius Cicero, schrieb zum Lob von Roms Mischverfassung ein ganzes, hoch philosophisches Buch: „De re publica“; er prägte zum Erhalt dieser Verfassung das dazu passende Schlagwort: concordia ordinum, was soviel heißt wie Eintracht der Bevölkerungsklassen. Cicero verstand jedoch die tiefe soziale Krise Roms nicht, die ich weiter unten erklären will. Deshalb ging er als oberster Politiker mit Gewalt gegen extreme Popularen vor, bei der „Verschwörung des Catilina“: er ließ Catilinas Verbündete ohne Prozess hinrichten, obwohl jeder römische Bürger genau davor durch ein Grundrecht geschützt war. Kurzfristig war Cicero danach beliebt: er hatte wohl einen Bürgerkrieg verhindert. Langfristig erfolgten Volksbeschlüsse gegen ihn, die ihn sogar in die Verbannung trieben.

Heutzutage in den USA hat die Kandidatin Harris ihren Wahlkampf mit dem Thema geführt, dass die Demokratie durch den Populisten Trump gefährdet sei; die Wähler sollten sie wählen, damit sie diese Demokratie gegen dessen Angriffe verteidige. Sie pries sich also an als Bewahrerin, so wie Cicero sich als Bewahrer der Mischverfassung. Viele der US-Wähler verstanden dieses politische Argument gar nicht mehr, denn in ihrer Wahrnehmung hatte dieser politische Überbau der Demokratie „derer da in Washington“ zu der gigantischen sozialen Krise geführt, als deren Opfer sich diese Wähler empfanden. Die Politologin vom ersten Abschnitt hier oben sprach deswegen von Rache für Deklassierung.

Cicero, der ja ebenfalls wortreich die spezifisch römische Verfassung der Republik verteidigt hatte, verlor auch – nicht nur eine Wahl, sondern die gesamte Republik. Caesar schaffte die althergebrachte Republik nach seinem Sieg im Bürgerkrieg ab; Augustus, sein Nachfolger, war schon faktisch ein Monarch. Nochmals: Cicero und seine politischen Verbündeten verteidigten theoretisch eine „demokratische“ Ordnung, die praktisch schon lange nicht mehr funktionierte, und zwar aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen.

Und das war so gekommen:

Bevölkerungsschichten wie die zuvor selbstständigen römischen Bauern waren von ihrer eigenen Führung, also grob gesagt von den erfolgreichen Senatoren, wirtschaftlich unter Druck gesetzt worden: die siegreichen Kriege bedeuteten den Import von Mengen an Sklaven. Diese bewirtschafteten nun den Großgrundbesitz der Senatoren, wogegen kleine Bauernhöfe chancenlos waren. Die ehemaligen Bauern bevölkerten jetzt als deklassierte Schicht die Hauptstadt Rom. Sie waren Opfer einer sozialen und wirtschaftlichen Krise. Politisch aber waren sie stimmberechtigte Bürger. Viele lebten von staatlichen Getreidespenden und den Bestechungsgeldern, die die Herrschenden bei ihren jährlichen Wahlen an ihre Wähler verteilten. Auch sie verstanden – wie die Deklassierten in den USA – nicht mehr, wenn Optimaten wie Cicero sie aufriefen, doch die Mischverfassung zu verteidigen, da ihnen diese Verfassung und die durch sie geschützten Verhältnisse doch ihre Deklassierung beschert hatte.

Ich hoffe, dass Sie anhand dieser Bemerkungen schon große strukturelle Ähnlichkeiten zwischen USA heute und Rom damals erkennen:

0 Eine deklassierte Mittelschicht, die weiteren sozialen Abstieg befürchtet;

0 Eine deklassierte Mittelschicht, die – in Rom – die ökonomische Konkurrenz der Sklaven fürchtete, und – in den USA – die Konkurrenz von einwandernden „Hispanics“.

0 Eine politische Klasse, die am alten politischen Aufbau festhält. Sie bezeichnet diese Verfassung als Idealzustand, sie argumentiert mit der noch vorhandenen Gewaltenteilung und den noch stattfindenden Wahlen.

0 Die Wahlen in USA und Rom sind gekennzeichnet durch Bestechung und gröblichste Beleidigungen der Kandidaten untereinander.

0 Wahlchancen sind in starkem Maße von der Finanzkraft des Kandidaten bzw. seiner Förderer abhängig.

Dies zur Krise von Politik und Gesellschaft in beiden Staaten. Nun noch zu den zwei Hauptpersonen.

Von den Ähnlichkeiten zwischen dem Aufstieg Caesars und dem Trumps nenne ich nur diejenigen Züge, mit denen beide auf die politische und soziale Krise ihres jeweiligen Staates reagierten. Charakterbedingte Unterschiede zwischen beiden sind riesig: so war Caesar Politiker und Feldherr; er war hochgebildet und ein sehr angesehener Autor: Cicero lobt seinen Stil als hervorragend. (Noch heute kann man sich ein Urteil darüber bilden, wenn man z.B. seinen Gallischen Krieg liest.)

Die Ähnlichkeiten sind:

– Beide meinen, dass sie der hergebrachten Führung gegenüber völlig überlegen sind. Sie verachten das „Establishment“.

– Beide agieren deshalb in der Politik völlig hemmungslos und egoistisch: Trump provozierte ohne Bedenken den Putschversuch am Capitol mit mehreren Toten und er lügt fortdauernd; Caesar provozierte Gewalt gegen seinen Amtskollegen (einen Optimaten) und begann den Bürgerkrieg quasi als Spieler. Bekannt ist wohl sein Ausspruch beim Überqueren des Grenzflusses Rubicon: „Der Würfel ist gefallen“, welcher genauer übersetzt eigentlich lautete: „Der Würfel möge geworfen sein“ i.S. von: das Risiko, das Spiel möge beginnen.

– Beide setzen ihren Reichtum bedenkenlos zur Förderung der politischen Karriere ein.

– Beide standen vor juristischer Verfolgung: Trump ist sogar verurteilter Straftäter, Caesar sollte verurteilt werden: er sollte nämlich nach dem Willen einiger Optimaten wegen eines Völkerrechtsbruches an die Germanen ausgeliefert werden.

– Beide, Trump als wiedergewählter Präsident, Caesar als „dictator perpetuus“, haben keinen zusammenhängenden Plan zur Reform ihrer Staaten. Ein Autor der Krise der römischen Republik, Christian Meier, betitel sein Buch deshalb: Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar.

Fazit:

Viele Journalisten und Wissenschaftler kommentieren den Aufstieg und zweimaligen Erfolg Trumps fast ratlos. Sie sagen, dass man das Verhalten der Wähler Trumps nicht verstehen kann. Schließlich sei er juristische verurteilt, sei schuld am Putschversuch. Ich meine: Wenn man die Krise der römischen Republik im Sinne dieses Textes versteht, so fällt von dieser Krise viel Licht auf die Tiefe der Krise der USA und den Erfolg Trumps. Dieser Erfolg ist eben nur auf Basis solch einer gewaltigen Krise seines Staates und seiner Gesellschaft erklärbar ist, er ist gleichsam eine Sumpfblüte.

P.S.

Sie vermissen eine wortreiche Analyse der Gründe für die jetzige Krise der USA? Nun, dann wäre dieser Artikel noch länger geworden. Ein Hinweis sei hier erlaubt: seit 1990 gerieren sich die USA als alleinige Weltmacht; dieses Engagement ist extrem teuer und sozial unausgewogen verteilt. verschärft wurden die Kosten noch durch den sog. „Krieg gegen den Terror“ seit 2001 und – seit 2014 – durch die immer teurer werdende Unterstützung der Ukraine. Hier liegt der tiefere Grund für Trumps Warnungen an zahlungs-faule NATO-Mitglieder.

Lektüretipps

1. Wer das anregende Buch von Bertolt Brecht lesen möchte, findet sicherlich antiquarisch etwas Preiswertes. Für eine digitale Ausgabe könnte man ansteuern, wobei ich in archiv.org nicht ausleihberechtigt bin:

https://archive.org/details/diegeschaftedesh0000bert_k6x8/page/240/mode/2up

2. Wer meint, dass ich im Gefolge der Interpretation von Brecht bei Schilderung der Krise der römischen Republik zu sehr den Klassenkampf betone, dem sei aus der lateinischen Literatur das Buch „Iugurtha“ von C. Sallustius Crispus empfohlen. Sallustius war Zeitgenosse und zeitweise Gefolgsmann Caesars. Sallustius hat auch die oben genannte „Verschwörung des Catilina“ beschrieben.

Viele Passagen in beiden Büchern sind Klassenkampf pur!

3. Immer wieder anregend zur römischen Geschichte finde ich: „Betrachtungen über die Ursachen von Größe und Fall der Römer“ des französischen Philosophen und Soziologen Montesquieu. Das Buch ist jetzt fast 300 Jahre alt, hervorragend geschrieben und in den zentralen Aussagen kaum angestaubt.