Kursk-Offensive und Ardennen-Offensive: Ein Vergleich (3-9-24)


Auf den ersten Blick gibt es Merkmale beider Offensiven, die ähnlich sind. Hauptmerkmal ist, dass es in beiden Fällen um Mächte geht, die unter starkem Druck standen, bevor sie diese Offensiven begannen: die Führung von Nazi-Deutschland bei der Ardennen-Offensive im Dezember 1944 und die Führung der Ukraine zu Beginn ihrer Kursk-Offensive. Beiden Mächten trauten die meisten Beobachter und Militärs keine Offensive zu, weil man natürlich zuerst damit rechnet, dass Mächte, die an den Fronten unter hohem Druck stehen ihre verbliebenen Verbände in die Abwehrfront einführen oder im Falle von Durchbrüchen für Gegenstöße einsetzen, allgemein: als Reserve benutzen.

Die Gegner dieser Mächte rechneten also weder 1944 noch 2024 aus diesen Gründen mit Offensiven. Dies führte dazu, dass man weniger wachsam war oder Aufklärungsberichte, die auf eine Konzentration von Kräften beim Gegner hinwiesen, nicht ernst nahm.

Die Folgen waren in beiden Fällen auch vergleichbar: Überraschende Anfangserfolge der damaligen deutschen Offensive und der jetzigen ukrainischen. 1944 war im Abschnitt westlich der Eifel, des deutschen Aufmarschraumes, nur 2 Regimenter einer unerfahrenen US-Division und daneben eine von den bisherigen Kämpfen ausgelaugte andere Division disloziert. 2024 müssen am Frontabschnitt südwestlich Kursk bei den Russen ebenfalls nur unerfahrene Kräfte mit eher polizeiähnlicher Ausrüstung eingesetzt gewesen sein. Hierauf weist der sehr sachliche und umfassend orientierte Oberst Reisner vom österreichischen Generalstab hin. Als Beweis nennt er, dass von ukrainischer Seite nur Kriegsgefangene ohne erbeutetes Material (gepanzerte Fahrzeuge und Geschütze) präsentiert wurde.

So weit die augenfälligsten Ähnlichkeiten!

Kann man von hier aus weiter von der Ardennen-Offensive auf das Schicksal der Kursk-Offensive schließen? Hierzu einige kurze Hinweise.

Die Heranführung von Verstärkungen: Deutschland 1945 und die Ukraine 2024 setzten so etwas wie ihre letzten Reserven ein, sie konnten während der Operation ihre Kräfte nicht mehr nennenswert verstärken. Ganz anders ihre Gegner, die ja überrascht worden waren – von ihnen erwartet man, dass sie die bisher so fehlerhaft bewachte Front verstärken.

1945 konnte eine ganze Panzerarmee, die des bekannten Generals Patton, von Süden her gegen den deutschen Frontvorsprung eingesetzt werden; von Norden wurde dazu Kräfte in Stärke von 3 Korps eingesetzt, also auch eine ganze Armee. Der deutsche Frontvorsprung sollte also von Süden und Norden eingedrückt und die deutschen Verbände eingekesselt werden.

Dies waren ungeheure Verstärkungen, die aber damals die Schwierigkeit hatten über teilweise vereiste Straßen anmarschieren zu müssen. Im Falle von Patton benötigte man dafür von der Saar bis nach Bastogne in den Ardennen gut eine Woche.

2024 scheint Russland auch zwei Wochen nach Beginn der ukrainischen Offensive nur 5 Regimenter rund um den ukrainischen Frontvorsprung konzentriert zu haben – so jedenfalls entnehme ich es einem Youtube-Video mit erkennbar russischem Ursprung. Diese scheinen den Vormarsch der Ukraine gestoppt zu haben, denn von dort hört man keine Siegesmeldungen mehr.

Warum aber keine Heranführung von Kräften in der Größe der US-Armeen, wie sie 1945 eingesetzt wurden? Der ukrainische Frontvorsprung ist doch eine einzige Blamage für die russische Führung: für ihre Armeeführung, für die Aufklärung, vor den evakuierten Zivilisten, angesichts der besonderen historischen Bedeutung von Kursk!

Ich sehe im Moment drei gewichtige Gründe:

a) Zum einen ist die russische Armee längst nicht so stark wie es uns Rüstungsbefürworter hier weismachen wollen. Dies liegt auch an den ungeheuren Dimensionen der Grenze, die sie bewachen muss. Da fällt das Konzentrieren von Truppen schon schwerer als im engen Gebiet des heutigen Benelux.

b) Hinzu kommt, dass 2024 Bewegungen für beide Seiten im Normalfall kaum zu verbergen sind durch die allgegenwärtige Aufklärung durch Drohnen, besonders bei Hochsommer-Wetter. 1945 fiel dieser Faktor weg, weil Patton sich bei dem schlechten Winter-Wetter und der völlig unterlegenen deutschen Luftwaffe frei bewegen konnte – abgesehen vom Eis. (Angesichts dieser Aufklärungsmöglichkeiten heute, im Sommer, ist es natürlich umso blamabler, dass die russische Aufklärung die ukrainische Angriffskonzentration bei Kursk nicht bemerkte oder nicht genügend ernst nahm.)

c) Die operative Richtung einer Gegenoffensive: 1945 wählte man das Eindrücken des deutschen Fronvorsprunges mit Richtung auf den „Flaschenhals“ mit Ziel der Einkreisung der eingedrungenen Verbände. Alternativ wäre eine Diversion denkbar gewesen, bei der Patton nicht nach Norden einschwenkte, sondern statt dessen ostwärts die deutschen Stellungen an der Saar angegriffen hätte. Ziel dabei wäre gewesen, die deutsche Führung zu zwingen ihre Ardennen-Offensive abzubrechen um mit den frei werdenden Verbänden Pattons angenommenen Angriff an der Saar abzuwehren.

2024 vermisse ich die zuerst genannte Lösung des Vorgehens gegen den „Flaschenhals“ mit Ziel der Einkesselung. Warum wählt die russische Führung dieses doch eigentlich naheliegende Verfahren nicht?

Vielleicht findet man eine Lösung, wenn man an die Kämpfe in Kursk 1943 denkt?

1943 sollte ja die deutsche Offensive den sowjetischen Frontvorsprung bei Kursk eindrücken und die dortigen Verbände einkesseln. Also das gerade oben beschriebene naheliegende Verfahren. Die Sowjets reagierten damals a) mit ungeheurem Widerstand in dem Frontbogen, mit dem es ihnen gelang die deutschen Verbände gut „abzunutzen“, und b) mit hiernach folgenden Offensiven an den Fronten beiderseits der deutschen Angriffe, also etwa am „Flaschenhals“, in grober Richtung auf Orel im Nordwesten und Belgorod im Südwesten. Diese führten dann – auf der Basis der zuvor erfolgten Abnutzung der deutschen Verbände bei der Offensive gegen Kursk – zum Zusammenbruch der deutschen Offensive.

Die Sowjets hatten also nicht direkt gegen die deutsche Offensive „gewirkt“, sondern deren Flanken angegriffen, übrigens ähnlich wie ein halbes Jahr zuvor in Stalingrad.

Heute scheint etwas Ähnliches vorzugehen: Man wirkt nicht direkt gegen die eingebrochenen ukrainischen Truppen bei Kursk, sondern verstärkt die eigene Offensive bei Pokrowsk. Dort soll es nach mehreren Berichten auch größere Fortschritte geben, auch wenn dies im Vergleich zu Kursk und Stalingrad ein nur ein-armiger Angriff ist.

Mag sein, dass Selenskyj seine Truppen vor Kursk bald zurückziehen muss, um einen Durchbruch durch die Donbass-Front bei Pokrowsk zu stoppen.