„Sieg“-reiche Kriege – kontraproduktive Resultate (27-3-23)


Vor drei oder vier Tagen las ich im Briefing der Neuen Züricher Zeitung etwas über die Forschungen des US-Wissenschaftlers James D. Fearon, der laut Zeitung auch jetzt im Ukrainekrieg Berater des Pentagon sein soll.

Hauptthese dieses Wissenschaftlers: Selten entsprechen die Resultate eines Kriege den Erwartungen, die die Kriegführenden bei den Planungen vornahmen. Selbst bei rational planenden Regierung würden oft kontraproduktive Ergebnisse oder zu teuer erkaufte Ergebnisse eintreten. „Bargaining“ (also: verhandeln, feilschen, geschäftlich unterhandeln) um das angestrebte Objekt würde bessere Resultate zeitigen.

Neuere Beispiele

Abgesehen davon, dass ich des Wissenschaftlers Annahme von „rational“ handelnden Staaten nicht einfach so billigen kann, finde ich schon, dass Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit immerhin zahlreich belegen, dass die Ergebnisse vieler „Siege“kontraproduktiv sind – auch wenn ich nicht für jeden der Fälle weiß, ob „bargaining“ zum Erfolg geführt hätte.

Jedenfalls ein kurzes „Brainstorming“ zu den Beispielen:

Koreakrieg – denn es existiert ja seitdem Nordkorea, das zu seiner Legitimierung immer die völlig unverhältnismäßigen Bombardierungen der USA anführt.

Vietnamkrieg – auch hier die Bombardierungen und die Verlustrate von 1 zu 60 (1 US-Amerikaner zu 60 Vietnamesen.

Sowjetischer Afghanistan-Krieg: Es dürfte bekannt sein, dass dieser einer der Grabsteine der Sowjetunion war.

Irakkrieg, „War on Terrorism“ (ich meine die Gesamtbilanz, z.B. die aufgewendeten Geldmittel, die dann zu Trumps „America first“-Slogan geführt hat)

internationaler Afghanistan-Krieg: Allein schon die FLUCHT im Sommer 2021, die wieder ein Motiv für die „Härte“ des jetzigen US-Präsidenten im jetzigen Krieg sein soll)

Libyen und die Destabilisierung der Lage im Mittelmeer (Migration)

Syrien (s. Libyen)

DAS KLASSISCHE BEISPIEL für die Antithese aus dem Titel

Ich aber möchte hier im Sinne einer langfristigen Geschichtsbetrachtung das Beispiel der römischen Republik kurz darstellen.

Meine (und nicht nur meine) These: Der Untergang der römischen Republik begann mit den (innenpolitischen) Verwerfungen, die durch den Sieg über Hannibal ausgelöst worden waren. Und nach dem Zusammenbruch dieser Republik kam die Etablierung der absolut herrschenden Kaiser (Caesar, Imperator, Dominus!!!). Da bestimmte dann keiner mehr mit!

Der römische Historiker Caius Sallustius Crispus (auf deutsch abgekürzt: Sallust) war Zeitzeuge der finalen Krise der römischen Republik, seine Schriften ein einziges Fragen: Warum ist diese Republik am Ende? Laut Sallust hatte eben der Sieg langfristig zur eskalierenden Krise der Republik geführt:

Der überwältigende Sieg der römischen Republik über die Karthager mit ihrem Kommandanten Hannibal im 2. Punischen Krieg. Ist doch seltsam, dass so ein „Triumph“ dann eine Krise auslöst, oder?

Nun, die Antwort habe ich – soweit erinnerlich – schon bei Montesquieu in seinen „Considérations sur les causes de la Grandeur des Romains et de leur décadence“(Betrachtungen über die Ursachen der Größe der Römer und ihres Niederganges) von 1734 gelesen: Während alle Kriege der Römer bis zu dem Sieg über Hannibal immer schwierige Siege waren, für die alle Klassen in Rom ihre Eigen-Interessen zurückstellen mussten; gab es ab da keinen wirklichen Gegner mehr im Mittelmeerraum. Also ab jetzt nur noch leichte Siege, also ab 201 v.Chr./553 a.u.c nur noch Kriege und Siege über nicht ebenbürtige Gegner mit den Resultaten:

  • große Landgewinne
  • riesige Beute
  • Zehntausende von Sklaven.

Die Überschwemmung mit Sklaven führte zur Entstehung von „rational“ verwalteten großen Gütern (latifundium, Pl. latifundia), die den einfachen römischen Bauern verdrängten, ihn, der doch bisher das Rückgrat der Armee und eine feste Größe im innenpolitischen Gleichgewicht war. Hier entsteht das Problem einer großstädtischen arbeitslosen Masse, die die Kandidaten der Oberschicht sich dann für die Wahlen kauften (ambitus). Und es entsteht natürlich eine Klasse von super-reichen Großgrundbesitzern, was mit zum nächsten Faktor beiträgt:

Die riesigen Beutemengen führten zum Zerfall der römischen Oberschicht, die im Senat verkörpert war: einige wurden immer reicher, andere gerieten in den Zwiespalt zwischen dem früheren Machtanspruch ihrer Familie/ihres Geschlechtes und der realen Bedeutungslosigkeit jetzt. Bei mangelnden „Einkünften“ drohte der Verlust des Sitzes im Senat, und damit noch größere Bedeutungslosigkeit. (Ein Beispiel für solch eine „Verliererkarriere“ wurde von Sallust in seiner „Verschwörung des Catilina“ beschrieben.)

Der dritte Faktor von oben, die riesigen Landgewinne, bedeuteten zunächst: viele Provinzen, die jährlich (!!!) einen neuen Statthalter aus Rom bekamen. Dieser Statthalter musste dann in seinem Amtsjahr in der Provinz aus dieser so viel Geld herauspressen, dass er damit seinen nächsten „Wahlkampf“ in Rom finanzieren konnte (siehe „ambitus“ oben) Diese Faktoren führten zusammen mit dem gerade geschilderten finanziellen Faktor dazu, dass eine kleine Zahl von Mitgliedern des Senats sich gegenseitig die Verwaltung der Provinzen und die Gelegenheit zu Grenzkriegen (Beute, Gebiete, Sklaven) zuschob, während der Rest weitgehend leer ausging.

Ein Merksatz für den ganzen Komplex, ein Merksatz aus der Antike:

Latifundia Italiam perdidere. – Die großen Güter haben Italien zu Grunde gerichtet.

Ich will hier nicht noch länger all das schildern, man kann es ja bequem in vielen Veröffentlichungen nachlesen. Sehr anschaulich ist all das geschildert in der Romantrilogie von Robert Harris über den Politiker und Redner und Philosophen Marcus Tullius Cicero. Die deutschen Titel der Trilogie lauten: Imperium, Titan, Dictator. Und Claude Cueni hat überaus anschaulich beschrieben, welch eine Sklaven-Beschaffungs-Maschine sich in Bewegung setzte, wenn ein Statthalter einen netten, kleinen Grenzkrieg zu unternehmen schien: in dem Roman „Cäsars Druide“.

Um jetzt auf die Frage von oben: „Ist doch seltsam, dass so ein ‚Triumph‘ dann eine Krise auslöst, oder?“ zu antworten: Schon in der Antike gab es die Theorie, dass der Respekt vor dem Gegner Karthago alle Klassen und Personen in Rom zur Zügelung von deren Eigen-Interessen zwang. Als dieser Zwang wegfiel, bediente man nur noch diese Eigen-Interessen. Es ist die Theorie vom wohltätigen Einfluss des „metus hostilis“, der ‚Furcht vor dem Feind‘. Denn diese verhindert die Hybris (eine Art Übermütigkeit, lateinisch: audacia – das alles Wagen). Denn was die Götter mit Menschen tun, die an Hybris leiden, war ja bekannt: sie verwöhnen sie noch eine Zeitlang mit Erfolgen, sodass sie erfolgs-blind werden, um sie dann umso sicherer vernichten zu können.

Fazit für die Friedens-Führung

Ich meine also bewiesen zu haben, dass große kriegerische Erfolge kontraproduktiv für Staat und Gesellschaft des Siegers sein können. Deshalb:

Es sei ein kleiner Ausblick gestattet für den angenommenen Fall eines „Sieges“ der NATO über Russland. Unter „Sieg“ braucht man hier gar nicht einen Sieg im Atomkrieg vorstellen (gibt’s den überhaupt???), sondern den Sieg durch einen Wechsel in der russischen Führung nach einem durch weitere Misserfolge provozierten Sturz der Putin-Mannschaft. Russland müsste einen demütigenden Frieden unterzeichnen, mit Gebietsverlusten und Bündnisverpflichtungen.

Die oberste Bündnisverpflichtung wäre dann wohl, der NATO zu helfen, gegen China eine zweite, atlantisch/asiatische Front aufzubauen. Die pazifische bedient ja schon die USA.

Das „westliche“ Bündnis würde von hier aus noch herrischer überall in der Welt auftreten – mit unsicherem Ausgang. Unter „herrischer“ verstehe ich z.B. die öffentliche Ankündigung des jetzigen US-Präsidenten, die USA würden Nordstream 2 beenden – und das in Anwesenheit des obersten deutschen Politikers!

Beispiele für die zerstörerische Gewalt von Gebietsverlusten:

  • Natürlich würde die Enklave um Kaliningrad eine russische Niederlage nicht überleben. Frage: Wem würde das Gebiet zufallen? Den früheren Besitzern von Ostpreußen und „Königsberg“? Aber würde es den polnischen Nationalisten gefallen, von zwei deutschen Territorien umringt zu sein?
  • A propos polnische Nationalisten: Müssten diese nicht nach Teilen von Bjelarus streben? Man sehe sich die Grenzen der polnischen Republik zwischen den Massenvernichtungskriegen I und II an! Schließlich baut diese Führung im Moment Polen zur stärksten konventionellen Streitmacht Europas aus; schließlich würde sie argumentieren, sie habe die Hauptlast beim Sieg über Russland getragen; schließlich wäre solch ein Polen für die USA ein Garant gegen zu großen deutschen oder französischen Einfluss in solch einem Europa nach dem „Sieg“ (Frankreich und Deutschland sind ja „das alte Europa“)

Man sieht vielleicht, warum General Graf Baudissin sein Buch „Nie wieder Sieg!“ betitelt hat – er gehörte ja zur Generation, die die Massenvernichtungskriege erlebt hatten. Diese Baudissins und Schmidts und auch Kohls sind meilenweit entfernt von der „Hybris“ der heutigen Führung in Deutschland!


Autor dieses Artikels ist:

G. Jankowiak

Sodinger Str. 60

44623 Herne