Wer war Werner Hahlweg?
Auf der Eingangsseite dieses Blogs sind Bertha von Suttner und Carl von Clausewitz bildlich präsent.
Sie repräsentieren die beiden gedanklichen Pole, auf denen dieser Blog steht: die Kenntnis des Krieges und die Förderung des Friedens (und seine Erforschung).
Noch nicht umfassend erklärt habe ich den Titel des Blogs: Friedens-Führung oder „frieden-fhren“, wie es der Textautomat des Blog-Betreibers geschrieben hat. Friedens-Führung also, und den Bindestrich habe ich extra gesetzt, um beide Teile des Begriffs hervorzuheben.
Denn der Begriff soll symbolisieren, dass der Frieden genau solch sorgfältiger Planung und energischer Durchführung bedarf wie sein gewaltsames Gegenstück, der Krieg. Bei dem Krieg spricht man ja ganz „natürlich“ von Kriegführung, oder Krieg-Führung.
Der Begriff der Friedens-Führung wurde nach meiner Kenntnis zuerst geprägt von meinem Hochschullehrer: Professor Dr. Werner Hahlweg. Da man den Erfinder von etwas nie verschweigen sollte, möchte ich Werner Hahlweg im Folgenden den geneigten Lesern und Leserinnen nahebringen. Dies erschöpft sich nicht in bloß biografischen Skizzen zu einem längst Verstorbenen, sondern führt nebenbei auch in so manche heutige Erscheinung.
Denn: Um die Person Werner Hahlwegs gab es 2012 eine gewaltige Auseinandersetzung!
Ihm, den vor 2012 Viele für ihre eigene Art von Militärgeschichte in Anspruch nahmen, wurden jetzt alle Ehrungen gestrichen, weil Hahlweg 1933 der Schutzstaffel (SS) und 1936 der NSDAP beigetreten war. Hahlweg selbst hat das öffentlich und mir gegenüber nie erwähnt. Ich finde jetzt im kritischen Schrifttum keinen Hinweis, ob die Streichung von Ehrungen wegen der Mitgliedschaft oder wegen des Verschweigens erfolgte.
Hahlweg also ein Nazi?
Zu den Vorwürfen gegen Hahlweg im Einzelnen möchte ich mich ausführlich in einem gesonderten Artikel äußern, werde vielleicht auch versuchen, den Wikipedia-Artikel zu ihm mit meinen Einwänden zu ergänzen.
Hier nur so viel:
Hahlwegs Sozialisierung
Hahlweg war 1933 21 Jahre alt, Student aus wohl deutschnationalem Elternhaus. Er studierte mit Schwerpunkt Militärgeschichte bei Prof. Walter Elze, der laut Wikipedia Artikel antisemitisch eingestellt war und den Nazis nahestand (der Wiki-Artikel verkürzt Elzes Verhältnis zu diesen stark auf eine Äußerung Elzes zu der „Ausreise“ eines jüdischen Bekannten).
Walter Elze war der Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Hans Delbrück. Hans Delbrück war gewissermaßen der erste zivile Professor für Militärgeschichte an einer deutschen Universität – und im Dauerstreit mit dem preußisch-deutschen Generalstab. Er kritisierte die Gedankenwelt der Alldeutschen und betrieb Militärgeschichte mit einer Methodik, die ihm – einem unkonventionellen Konservativen – die Anerkennung der „vaterlandslosen Gesellen“ von der damaligen SPD eintrug. So nachzulesen beim damaligen marxistischen SPD-Gelehrten Franz Mehring.
Und hier aus meinem Franz-Mehring-Band „Zur Kriegsgeschichte und Militärfrage“ das Inhaltsverzeichnis mit der Besprechung von Delbrücks
„Geschichte der Kriegskunst“

Ich selbst besitze die Aufstellung von Delbrücks Nachlass, die in der DDR gefertigt wurde, weil diese sich für diesen so unkonventionellen Geist interessierte, der ja als Konservativer von einem marxistischen Klassiker gelobt wurde.

Wir sind hier also mitten in Erscheinungen, die sich quer durch die politischen Lager erstrecken!!! Hier liegt ein Fundament für unkonventionelle Gedanken, an die Hahlweg wohl nach 1945 anknüpfen konnte.
- Hahlweg wird selbst Professor für „Militärgeschichte und Wehrwissenschaften“ – 1969, vierundzwanzig Jahre nach Ende der Nazi-Zeit(!!!)
Delbrück starb 1929, Elze bekam (verdientermaßen) nach 1945 keine ordentlich Professur mehr, vor allen Dingen keine für Militärgeschichte.
Ich vermute, dass alle Lesende hier verstehen, wieso es nach 1945 keine solche Professur mehr gab. Wie also konnte Werner Hahlweg 24 Jahre nach Kriegsende, im Jahre 1969, wieder einen Lehrstuhl solchen Namens erlangen: für „Militärgeschichte und Wehrwissenschaften“!!!! Zur Erinnerung: spätestens seit 1967 gab es eine vornehmlich linke bis linksradikale Studentenschaft – der Zeitgeist stand der Errichtung einer solchen Professur doch entgegen! Und dennoch unterstützte diese Studentenschaft die Einrichtung eines solchen Lehrstuhles!
- Beweise für Hahlwegs Wandlung nach 1945
Ich habe Hahlweg während 11 Jahren kennengelernt: bis 1984 als Student, danach als einer seiner Korrespondenten – einige der Briefe besitze ich noch heute. Aus meiner Erinnerung hier Merkmale dafür, dass der ehemalige SS-Angehörige nach 1945 oder schon vorher eine tiefgreifende Wandlung durchgemacht haben muss. (Noch kurz zur SS-Angehörigkeit: Im Wikipedia-Artikel wird eindeutig gesagt, dass Hahlweg 1939 „zur Wehrmacht eingezogen“ wurde. Damit endet nach meiner Kenntnis seine Angehörigkeit). Hier also einige Faktoren, die diese Wandlung wohl hervorgebracht haben :
- Hahlweg war nie deutsch-national.
Er studierte u.a. in Wien, sprach öfter mit persönlicher Sympathie über Österreich-Ungarn und dessen Kaiser Franz-Joseph, er ließ sich seine Hemden in der damals zum Ostblock gehörenden CSSR anfertigen, er empfahl bei militärischen Fragen oft ausdrücklich schweizerische und österreichische Untersuchungen. Meine Vermutung zu letzterem: Die Schweiz und Österreich waren neutral, dortige Militärs waren nicht so parteigebunden an eine übermächtige Führungsmacht wie die Militärs der Bundesrepublik.
Ich kenne aus dem Studium bei Hahlweg den schweizerischen OB während des 2. Weltkrieges, General Guisan; ich kenne den k.u.k. General, Berater der Austro-SPD und späteren österreichischen Bundespräsidenten Theodor Körner.
Hahlwegs wissenschaftliche Schriften aus der Nazi-Zeit, also seine Dissertation und Habilitation, sind frei von Bemerkungen im Nazi-Sinne. Er sprach wiederholt stolz davon, dass er in diesen Schriften nach 1945 kein Wort hatte verändern müssen – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Professoren, wie er dann verschmitzt lächelnd sagte.
Hahlweg interessierte sich zeitlebens stark für die niederländische Geschichte, vertrat diese auch eine Zeit vor 1969 als Professor.
- Hahlweg war auch im damaligen Ostblock anerkannt
Er selbst wies oft darauf hin, dass seine wissenschaftlichen Werke von vor 1945 auch in Polen und in der Sowjetunion präsent und nicht verboten wären. Lachend präsentierte er mir eine Rechnung des Militärverlages der Sowjetunion, wo er sich – dort eingeladen – mit Literatur eindecken durfte: „Und diese Rechnung werde ich bei der Steuererklärung hier als Werbungskosten geltend machen, Herr Jankowiak!“
Seine wissenschaftlichen Werke seit 1945 sind voll von umfangreichen Studien zu den ideologischen Heiligen des damaligen Ostblockes: Marx, Engel, Lenin. Hahlweg schilderte ohne die sonst übliche Herabsetzung deren Beiträge zur Militärgeschichte! Wer das nachprüfen möchte, schnappe sich Hahlwegs Ausgabe von Clausewitz‘ „Vom Kriege“; er wird in dem Vorwort viele Seiten zu diesen Klassikern finden – ohne Herabsetzung derselben.
Hier liegt unter anderem auch ein Grund für die Einrichtung des besonderen Lehrstuhles ab 1969: die damaligen linken StudentInnen befürworteten diese, weil Hahlweg einer den wenigen Ordinarien der damaligen BRD war, der sich mit den Idolen der damaligen Studentenschaft beschäftigte, mehr noch: bei dem man zu diesen forschen durfte und für gute Arbeit auch gute Noten bekam.
Um das Jahr 1983 lud Hahlweg den damaligen Spezialisten aus der DDR für den philosophischen Hintergrund des Clausewitz-Werkes ein: Andrée Türpe. Er tat dies ohne Scheu vor diesem Repräsentanten der DDR-Ideologie. Wir jungen Studenten trafen uns dann noch „privat“ mit Türpe und Hahlweg beim Bier.
Muss ich noch erwähnen, dass auch Maos Theorie des Guerilla-Krieges und – aus dem klassischen China – Sun-Tse’s Schriften Gegenstände in Hahlwegs Seminaren waren?
- Hahlweg und Clausewitz und Scharnhorst
Meine Vermutung ist, dass Hahlweg sich nach 1945 durch wirklich tiefgreifende Beschäftigung mit den Gedanken von Scharnhorst und Clausewitz gründlich und endgültig von Nazi-Ideologie befreien konnte. Inwieweit er vor 1945 diese tatsächlich aus Überzeugung vertreten hatte, muss an anderer Stelle in wissenschaftlicher Weise einmal besprochen werden.
Durch Clausewitz erkannte er das Abenteurertum in der Gedankenwelt Hitlers und in dessen militärischen Entscheidungen – man denke allein an Clausewitz‘ Warnung, Russland ließe sich nicht „förmlich erobern, d.h. besetzt halten (…).“(Seite 1024 im Werk „Vom Kriege“ in der 18. Auflage, die Werner Hahlweg besorgte). Und Hahlweg erkannte dies nicht nur in der Gedankenwelt Hitlers, sondern in der der deutschen Militärs des 1. und 2. Weltkrieges. Es kam nicht von ungefähr, dass Hahlweg mir das Studium der Schriften von Generaloberst Beck empfahl. Beck gelangt in diesen – gestützt auf Clausewitz‘ Gedanken – zu einer tiefgreifenden Abkehr von den militaristischen Denkmustern des damaligen Offizierskorps.
Durch das Fortwirken Clausewitz‘ im internationalen Rahmen, das Hahlweg immer untersuchte, kam er auf die Beschäftigung von Marx, Engels und Lenin mit Clausewitz. Wie oben geschildert, untersuchte er diese drei frei von Vorurteilen.
Durch Lenin wohl kam er auch auf die antikoloniale Bewegung der „Dritten Welt“. Hieraus entstand „Guerilla – Krieg ohne Fronten“, ein Werk ohne Verächtlichmachung der Befreiungsbewegungen, eher eine Mahnung an die „westliche“ Welt, diese antikoloniale Bewegung überhaupt erst einmal geistig zu begreifen – so, wie Scharnhorst und Clausewitz es mit der Französischen Revolution getan hatten. Heute merkt man an Afghanistan und Irak, wie wenig man das Ganze hier verstanden hat!!!
Clausewitz erlaubte ihm auch folgendes:
Es erlaubte ihm wissenschaftliche Unabhängigkeit. Hahlweg war der international anerkannte Clausewitz-Forscher. Er präsentierte seine Ergebnisse zu Clausewitz‘ Gedanken in gleicher Weise vor egal welchem Publikum, ob vor linken Studenten oder vor bundesdeutschen Militärs oder vor Träumern von der „unpolitischen“ Wehrmacht. So konnte er auch Vorsitzender der „Gesellschaft für Wehrkunde“ sein, wo ihm kaum jemand auf seinem unkonventionellen Weg folgte – Hahlweg präsentierte unverändert seine Wissenschaft. Und natürlich interessierten ihn in solcher Umgebung auch die Forschungsergebnisse von dort, gerade in den Details.
Hier die Einladung der o.g. Gesellschaft zu Hahlwegs 70. Geburtstag

Ich als „linker“ Student mit „Krefelder Appell“-Button nebst anderen Kommilitonen war auf Wunsch Hahlwegs auch eingeladen. Hahlweg wusste von meinem Auftreten mit Button und hatte keinesfalls etwas dagegen.
Mein Fazit:
Hahlweg war in seiner Jugend wohl empfänglich für Nazi-Gedanken. Was an seinem Verhalten von 1933-1945 Überzeugung, was Opportunismus war, lässt sich hier mit Blick auf die Lesbarkeit nicht gründlich untersuchen.
Nach 1945 jedoch vollzog er einen sehr tiefgreifenden Wandel – ich meine hier gezeigt zu haben: durch die Beschäftigung mit Clausewitz.
Noch einige Momentaufnahmen zu Hahlwegs Wandel:
Hahlweg zu mir, angesichts meines Lateinstudiums: „Und können Sie auch russisch?“ Ich verneinte. Er, lächelnd: „Dann können Sie ja nur die HALBE Weltgeschichte!“
1983: Nach sehr vielen Diskussionen und viel „philosophischem“ Ausweichen seitens Hahlwegs unterschreibt er auf einer von mir vorgelegten Liste den „Krefelder Appell“
Wegen des Titels der Lehrstuhles nahmen auch viele (ehemalige) Soldaten oder deren spätere Bewunderer an Hahlwegs Lehrveranstaltungen teil. Dort saßen also Linksradikale, die vielleicht mit der RAF oder ihren Nachfolgern sympathisierten, neben Obersten a.D. und modernen Apologeten der Wehrmacht.
Und vor solchem Publikum hörte ich von Hahlweg dann den lobenden Hinweis auf Christan Streits Werk: „Keine Kameraden“ über die Mitwirkung der Wehrmacht an der Vernichtung ihrer sowjetischen Kameraden, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren. Für mich inhaltlich wie atmosphärisch (s. Publikum) eine Erlebnis, das ich nie vergessen werde!
Die Unterzeichnung des Krefelder Appells und die Hinweise auf diejenige Literatur, die damals anfing, die dunkle Seite der Wehrmacht zu erforschen, dies sind – ohne wissenschaftliche Vollständigkeit – diejenigen Hinweise für mich, dass Hahlweg sich innerlich völlig von jugendlichen Verirrungen befreit hatte.
Ja, und natürlich seine Wortschöpfung von „Friedensführung“:
‚Herr Jankowiak, wir haben zwar eine vollständige Theorie der Kriegsführung, dieselbe fehlt aber für den Frieden. Man muss da von Friedensführung reden, um die Sache in ihrer ganzen Totalität zu erfassen!“