(= Konkretisierung der Angaben im Artikel: Gegen-Experten nach 1933, 2. Teil)
Vorbemerkung: Das Konzept der Raumdeckenden Verteidigung war schon einmal Thema eines Artikels. Ich hatte aber den Eindruck, dass für alle, die sich bisher nicht mit dem Thema befasst haben, die Informationen zu wenig geeignet waren, um hinreichende Vorstellungen von dem Konzept zu erzeugen. Deshalb hier eine Passage aus dem Buch im Original:
„1. Der Aggressor muss auf fremdes Territorium vorstoßen, um dort zu erkunden, was der Verteidiger schon kennt; unter Opfern aufzuklären (Bewegung!), was der Verteidiger geschickt verborgen hält, sich dabei exponieren, was dem Verteidiger lohnende Ziele und Gelegenheiten für Hinterhalte beschert. Das alles kann nicht allein in einem schmalen „Vorne-Streifen“ abgewickelt werden, wie es die derzeitige Doktrin für möglich hält. Hierfür ist ein Mindestmaß an Raum von 50-100 km Tiefe erforderlich. Das heißt, die Gunst des Geländes für die konventionelle Verteidigung muss immer und überall, also auch in der Tiefe, genutzt und durch umweltschonende Einsatzmittel wie Nebel, verstärkt werden. Anderenfalls vergibt der Verteidiger entscheidende Chancen. Das erfordert eine hohe Gefechtsdynamik, die aber nicht mit der heute gelehrten „beweglich geführten Verteidigung‘, die vornehmlich Räder und Ketten meint, verwechselt werden darf.
2. Der angreifende Feind ist durch einen an Zahl weit unterlegenen Verteidiger nicht mit gleichen Waffen und gleicher Taktik zu schlagen. Ein Verzögerungsgefecht, nach heutiger Doktrin geführt, kann in dem verfügbaren Gelände keine Entscheidung im Sinne des Auftrages bringen. Nur ‚Antiwaffen‘, mit einer entsprechenden ‚Antitaktik‘ im hierfür günstigen Gelände eingesetzt, verbürgen dem Verteidiger jene höhere Qualität an Kampfkraft, die es einer viel höheren Quantität an Großgeräten auf der Seite des Aggressors nicht erlaubt, eine adäquate Kampfkraft zu entwickeln. Der Verteidiger meidet daher zunächst jede ‚offene Feldschlacht‘ Panzer gegen Panzer oder Mann gegen Mann.
3. Ohne Bewegung gibt es keinen Angriffserfolg. Der Verteidiger muss daher dem Angreifer zunächst weiträumige – und wenn das gelungen ist – auch kleinere Bewegungen durch Sperren und Feuer verwehren. Mit Hilfe der Gunst des Geländes, der Vorteile der ‚inneren Linie‘ und mit einer neuen, auf List und Überraschung abgestellten Kampfweise wird sich der Erfolg auch bei einer starken personellen Unterlegenheit einstellen. Wer Bewegungen verhindern kann, kann grundsätzlich auch verteidigen!
4. Angriffsverbände müssen mit ihren Kriegsmaschinen fahren; ein Verteidiger kann diese aus Verstecken bereits beobachten, ohne selbst aufgeklärt zu sein.
Tief gestaffelte Verteidigungswaffen mit hoher Ersttreffwahrscheinlichkeit, die aus voller Deckung wirken können und von den ebenfalls aus voller Deckung beobachtenden Lenkschützen getrennt aufgestellt sind, vernichten in wenigen Minuten angreifende Großgeräte oder Mot-Schützen[1] außerhalb von Deckungen.
5. Bewegungen bedürfen ständiger Führungsaktivitäten, funktionierender Funksysteme und eines nie abreißenden Nachschubs. Gut vorbereitete Verteidigung, die lange Zeit mit Feuer aus der Tiefe unterhalten werden kann, kann demgegenüber für ganze Gefechtsphase mit Befehlen und Aufträgen sowie auch logistisch vorab versorgt werden.
Um in diesem Vorteil zu bleiben, kommt es sehr darauf an, den Funk des Angreifers zu stören oder zeitweise ganz zu unterbinden, Gefechtsstände zu vernichten und Nachschubknoten und Versorgungslinien zu treffen.
6. Die eigene Gefechtsführung und die Kampfweise müssen den überproportionalen Erhalt der Kampfkraft gegenüber dem Abbau der Kampfkraft beim Angreifer gewährleisten. Dann muss naturgemäß die Verteidigung mit der Zeit nicht schwächer, wie bisher, sondern immer überlegener und erfolgreicher werden.
7. Wälder sind als natürliche Barrikaden auszubauen und zu sperren. Damit werden für den Angreifer gefährliche Engen erzeugt.
8. Bewohntes bebautes Gelände wird nicht von diesem aus, sondern aus einem Nachbargelände überwacht und gesichert. In bewohnten Unterkünften der Bevölkerung gibt es keinen Kampf.
9. Luftlandungen des Feindes sollen durch das wetterunabhängige Netz des Fliegerabwehrsystems teilweise bereits in der Luft, besonders aber in der Landephase vereitelt werden.
10. Durch rasche Gefechtserfolge unter Schonung menschlichen Lebens und der Umwelt behält der Verteidiger das Vertrauen zu sich selbst und seiner Führung, sowie die Gunst der eigenen Bevölkerung. Jede Anstrengungsbereischaft ist erfolgsabhängig. Überforderungen schaden ihr. Jedoch: Wenn die Motive stimmen, ist der Einsatz keine Last.“
Lösers Voraussetzung für all dies formulierte er direkt anschließend auf derselben Seite als Abschluss des Kapitels:
„Die im ganzen Buch geschilderten ‚Sackgassen‘ unserer derzeitigen Sicherheitspolitik lassen sich mit einer neuen militärischen Zielsetzung, der vorrangig konventionellen Verteidigung, nur vermeiden, wenn, wie vorgeschlagen, die Bedeutung
- des Menschen
- des Geländes und
- neuer Technologien für die Verteidigung
umfassend erforscht und in ein neues Konzept integriert werden.“
aus: Löser, J: Weder rot noch tot. Überleben ohne Atomkrieg – eine sicherheitspolitische Alternative. München 1982 (2), S. 131-133.
(Kursivdruck gibt Stellen wieder, die der Verfasser im Original auch kursiv gesetzt hatte.
Rechtschreibung behutsam angepasst, hauptsächlich bei ß -> ss)
[1] Löser meint nach dem Kontext mit den Großgeräten die Panzerfahrzeuge wie Kampfpanzer und Panzerhaubitzen, wie sie gehäuft in den Panzerdivisionen vorkommen; mit den „Mot-Schützen“ meint er die motorisierte Infanterie (Panzergrenadierdivisionen) der Streitkräfte der (früheren) „Warschauer Verteidigungs Organisation“, im Westen kurz: Warschauer Pakt genannt