Für mich ist der 20. Juli jedes Jahr ein besonderer Tag: es jährt sich das Attentat auf Hitler und der Staatsstreichversuch.
In meinem Artikel zu den Gegen-Experten nach 1933 hatte ich dafür schon eine Begründung geliefert:
Fast alle aus dem militärisch-politischen Widerstand kamen aus einer aristokratisch-nationalistischen Sozialisierung umfassendster Art: Elternhaus, evtl. Kadettenanstalt, Aufnahme-“Prüfung“ durch die Offiziere des Regiments, Weltkriegs-Perzeption/Weltkriegs-Erleben. So wie die anderen Zeitgenossen mit dieser Sozialisierung hätten sie – bequemerweise – den Weg des Mitmachens oder Mitlaufens gehen können.
Die Leute des 20. Juli aber befreiten sich in einem Akt des Durchdenkens und des Willens von den hergebrachten, eingeübten, „eingefleischten“ Denkmustern und Normen.
Ein Ludwig Beck lehnte in seinen „Studien“ jegliches nur militärische Denken ab, dachte politisch in einer Art, die den Bellizismus überwand[1]. Die jüngere Generation um Tresckow und Stauffenberg wollte ein Zusammengehen mit der deutschen Arbeiterbewegung (soweit diese noch existierte und personell für sie zugänglich war); sie wollte nicht nur – wie manche mittlerweile gegenüber dem Kriegsausgang skeptisch gewordenen Mitmacher und Mitläufer – Friedensverhandlungen mit dem Westen, sondern auch mit dem Osten. Ein Tresckow machte Bemerkungen, seine ganze Kaste habe das Recht verspielt das Schicksal der Nation weiter zu bestimmen.
Ich meine:
Ein großartiger Akt der gedanklichen und charakterlichen Selbst-Korrektur.
Die zweite Begründung ist umfassender:
Dieser Tag sollte Gedenktag sein für alle, die damals den Mut fanden, NEIN zu sagen. Und es gehörte und gehört eine ungeheure Charakterstärke dazu, sich gegen einen umfassenden Trend zu stellen; das kann jeder sogar heute noch ausprobieren, der z.B. die Politik „des Westens“ in irgendeiner Weise hinterfragt – übrigens, ohne deshalb den Osten (Russland, China) gutzuheißen.
Damals kam noch hinzu die Gefährdung des eigenen Leben und des Lebens von Angehörigen.
Und bei der Gefährdung des eigenen Lebens kam noch eine besondere Art der Bedrohung hinzu:
Jemand wie Tresckow war sich nicht sicher, ob er in den Folterkellern der Gestapo die Qualen aushalten könne und nicht zum Verräter würde. Wohlgemerkt: er, der „Frontsoldat“ hatte keine Angst davor getötet zu werden, oder schwer verwundet zu werden wie Stauffenberg. Aber einsam unter langsamen Qualen durchzuhalten, und nichts zu verraten: für diese Leistung vieler seiner Zeitgenossen aus anderen Bereichen des Widerstandes ist gerade die Skepsis eines Tresckow vor seiner eigenen „Courage“ ein hohes Zeugnis.
Und heute:
In keinem der ca. 40 Fernsehprogramme meiner Programmzeitung läuft am Abend auch nur eine Sendung zum Widerstand. In den Seiten der verschiedenen Browser, die dann jeweils Themen des Tages voranstellen, findet sich keine Spur des Erinnerns.
Wie muss es um eine Nation bestellt sein, die an einem solchen Gedenktag nicht für ein möglichst kollektives Erinnern an einzigartigen Mut sorgt????
Fazit für die Friedens-Führung:
Auch wir müssen in einem Akt des Durchdenkens und des Willens uns befreien von den Denkmustern, die – siehe Scholz‘ „Zeitenwende“ – bei jeder Gelegenheit wieder hochkommen. Und das gilt für die Denkmuster im Militärischen, Politischen, im Umgang mit Ressourcen, in der Definition von „Freiheit“, die ja oft nur eine Freiheit der Besitzenden ist.
[1] Beck selbst als Fazit seiner Studie gegen Ludendorffs ‚totalen Krieg‘: „Die Überwindung der Lehre vom totalen Krieg als einem unentrinnbaren Faktum setzt also letztlich einen neuen sittlichen Idealismus voraus. Nur Idealismus vermag auch, den Glauben an eine Idee als Aufgabe zu wecken und stark zu erhalten und, sollte das Ziel auch nie vollständig erreicht werden, wie dies vom ewigen Frieden angenommen werden muss, es doch zu ermöglichen, ihm in einer ins Unendliche fortschreitenden Annäherung immer näher zu kommen.“ (L. Beck: Studien. Hrsg. v. H. Speidel, Stuttgart 1955, S. 258.
Autor dieses Artikels ist:
G. Jankowiak
Sodinger Str. 60
44623 Herne